ABSTRACT
Das Projekt beschäftigt sich mit dem Phänomen der Kleidung als zweite Haut. Schülerinnen und Schüler nähen mit Hilfe der Textillehrerin eigene Kleidungsstücke, die dann im Rahmen des Bildnerischen Gestaltens mit selbstentwickelten Motiven zum Begriff „Zweite Haut“ bedruckt werden.
BEGRÜNDUNGS- UND SACHANALYSE
Seit dem Biss in den Apfel und dem Verlust des angeborenen Felles beschäftigt sich der Mensch mit der Frage nach einer Zweiten Haut, der Kleidung. Dabei reagiert der Mensch sowohl auf Regungen in seinem Inneren, wie z.B. Scham, als auch auf Faktoren von Aussen, z.B. Wetterbedingungen. Die Kleidung ist Schnittstelle zwischen Innen und Aussen, zwischen Individuum und Gesellschaft. Über die Kleidung kann Zugehörigkeit, als auch Individualität hergestellt und ausgedrückt werden.
Gerade in der Geschichte des Textildrucks ist eindrücklich zu verfolgen, wie das Textil ebenfalls Schnittstelle für kulturelles und technisches Gut ist. Und mit einem Blick in die Textilgeschichte und auf aktuelle Diskussionen zu Produktionsbedingungen und Konsumverantwortung wird erkennbar, wie im Stoff die Welt verwoben ist. Die Kleidung ist ein sehr ergiebiger Ausgangspunkt um sich der vergangenen Menschheitsentwicklung, der gegenwärtigen, aber auch der zukünftigen anzunähern.
Im Jugendalter sind Fragen zur gesellschaftlichen Zugehörigkeit, aber auch zur Individualität sehr zentral. Der junge Mensch löst sich zunehmend aus dem Familiensystem, sucht sich seine eigene Identität und eigenen Weg in der ihm umgebenden Gesellschaft. Die Kleidung ist dabei ein wichtiger Unterstützungs- und Interessensfaktor.
Im Projekt „Zweite Haut“ werden die Jugendlichen sowohl in Teile der Textilgeschichte eingeführt, als auch zu einer theoretischen, philosophischen Diskussion zum Phänomen der Kleidung angeregt. Diese soll dann eine individuelle Auseinandersetzung mit Teilaspekten des Themas ermöglichen. Die Herausforderung besteht darin, gedankliche und visuelle Inspirationen zu verbinden und in Motive, die im simplen Textildruck umsetzbar sind, zu transformieren.
AUFBAU
Das Projekt wird mit einer kurzen Einführung in die historische Entwicklung des Textildruckes begonnen. Besonders interessant und anregend ist es hierbei den Schritt von der Körperkunst (Malerei, Schmuck) zum Textildesign aufzugreifen und auch die gegenseitige Einflussnahme von Gestaltung und technischem Fortschritt aufzuzeigen. Die SchülerInnen lernen erste Druckverfahren kennen und unterscheiden. Im nächsten Schritt sind die SchülerInnen gefragt selbst experimentell tätig zu werden und verschiedenste Methoden und Materialien zum Textilfärben und Drucken auszuprobieren. Es sind Stationen zu Reservedruck mit Teig, Batik, Bleichen mit Javelwasser, Stempeln mit Kartoffeln und diversen Gemüsesorten, Abkleben mit Klebeband und Scherenschnitte, Spitzen aufgebaut. Es soll möglichst unvoreingenommen und frei ausprobiert, Erfahrungen gesammelt und Verfahren entwickelt werden. Erst im Nachhinein wird in einer grossen Auslegung evaluiert welche Verfahren und Ergebnisse für die Weiterverfolgung interessant sein könnten und gefallen.
Es folgt ein kurzer Überblick zur Entwicklungsgeschichte der Kleidung, wobei der Fokus auf das Thema Haut und Körpereinwirken gelegt ist. Wie haben zum Beispiel Korsagen den Körper deformiert und welche Häute spielen in der Textilindustrie eine Rolle? Was wäre wenn wir Menschenhaut verarbeiten würden? Und was wenn sie im Labor gezüchtet würde?
Es findet ein theoretischer und diskursiver Einstieg in das Überthema „Zweite Haut“ statt. Zu den Assoziationen wird eine Bildersammlung angelegt: Identität, Tattoo, Schutz, Farbe, Hautstrukturen, Falten, Tierhaut, etc. Die Bilder dienen als Ausgangslage um erste Gestaltungsverfahren auszuprobieren. In Kleingruppen suchen sich die SchülerInnen eine Bildvorlage und entwickeln unterschiedlichste Designs mit der Aufgabe, zu spiegeln und zu vergrössern/verkleinern, sowie symmetrische/ asymmetrische Anordnung und Abstraktion anzuwenden.
Die erarbeiteten Strategien dienen nun als Werkzeug für die eigene Arbeit. Die SchülerInnen suchen sich als Ausgangslage abermals ein Bild aus der Sammlung aus und setzen das Bild in einem Mindmap gedanklich in Verbindung zum Überthema. Was hat mein Bild mit dem Thema „Zweite Haut“ zu tun. Das Mindmap wird mit weiteren Assoziationen angefüllt. Sind darunter schon erste Grössen-, Farben-, Form-, Qualitäts-Hinweise? Die SchülerInnen entwickeln nach einem Leitfaden und in enger Begleitung eigene Gestaltungsideen für ihr eigenes Kleidungsstück. In Begleitung der Lehrpersonen werden diese umgesetzt.
REFLEXION
- Mir wäre es wichtig bei der nächsten Umsetzung noch mehr in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema der Zweiten Haut zu gehen. Ich hinterfrage, wie gewinnbringend die von mir gehaltene historische Einführung zum Textildruck für das Projekt gewesen ist und ob man diese Zeit nicht lieber für eine Vertiefung in Frage nach der Zweiten Haut genutzt hätte. Ein Ansatz wäre hier auch, statt über die Bildebene noch mehr über gedankliche Auseinandersetzung an das Thema heranzugehen. Z.B. den Fragen nach zu gehen: Was ist meine zweite Haut? Wie sieht sie aus? Was ist charakteristisch? Was muss sie können? Und hieraus Entwürfe kreieren.
- Der Anspruch, die Kleidung danach selber im Alltag tragen zu können und wollen, habe ich für die künstlerische Auseinandersetzung als hemmend erlebt. So war z.B. folgende Auffassung oft zu beobachten: Textildruck sei ein auf der Brust prangendes Motiv. Um dem entgegenzuwirken würde sich der Versuch lohnen, sich erst ganz dem Textildruck zu widmen und ganze Laufmeter zu bedrucken, bevor dann die Kleidung aufgegriffen und der Stoff verarbeitet wird.
- Ausserdem könnte es spannend sein ganz von der Alltagstauglichkeit der entwickelten Kleidung wegzukommen, auch wenn ich diesen Aspekt reizvoll finde, da er für mich sehr echt am Alltag, der Identität und dem Ermächtigungsgefühl der Jugendlichen ansetzt (ich kann mir meine eigene Kleidung selbst gestalten und umsetzten). Noch mehr in die Kunst eintauchend, könnte die Frage nach Hülle, Form und Materialität aufgegriffen und noch mehr auf den Körper bezuggenommen werden.
- In beiden Fällen, sowohl der Alltagstauglichkeit, als auch der künstlerische Objekthaftigkeit wäre eine anschliessende Auseinandersetzung mit der Inszenierung sehr interessant. Wie setze ich mich mit dieser Kleidung wieder in einen Kontext? Farben, die aufgenommen werden? Attribute? Szenerien?
- Ein Thema, dass ich gar nicht behandelt habe, aber auch unweigerlich mitschwang ist die Frage nach der Genderthematik. Es war zu beobachten, wie die Jugendlichen sich in gewissen Stereotypen bewegen und diese in ihren Gestaltungen aufgreifen. Ein Gespräch, eine Sensibilisierung hierfür könnte Horizont erweiternd sein.
- Das Thema würde sich auch besonders gut für ein fächerübergreifendes, oder in Etappen weitergeführtes Projekt eignen, so dass auch eine Vernetzung und Vertiefung stattfinden kann. Ich denke da an eine geschichtliche, biologische, philosophische, ethische oder literarische Auseinandersetzung.
- Als grosser Erfolg wurde der Druckparcours erlebt, die vielseitigen Ergebnisse waren sehr aufregend und anregend. In einer Feedbackrunde wurde mir von den SchülerInnen zurückgemeldet, dass sie das Thema sehr spannend fanden. Die unterrichteten SchülerInnen waren um die 17 Jahre alt.
Ich danke meiner Fachklasse fürs anregende Feedback.
LITERATUR EMPFEHLUNGEN:
BENTHIEN, Claudia (2001): HAUT; Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Hamburg. Rowohlt Taschenbuch
DEHO,Valerio & HARTUNG, Elisabeth (2001): ZWEITE HAUT: Kunst und Kleidung Arte e Abito Frauenmuseum Meran; Museum Bellerive