Dieses Praktikum an der Kantonsschule Uster wurde während acht Doppellektionen ausgeführt. Die Lernende hatten einen Einblick in das Thema «Posthumanismus», entwickelten eigene Performances und hielten sie filmisch fest.
2. Inhalt
Sachanalyse
An der diesjährigen Biennale in Venedig wurde als Hauptfokus der Posthumanismus thematisiert: Wie wird sich der Mensch in der Zukunft ändern? Es ist ein eine sehr vielschichtige Thematik, die aufgrund ihrer Komplexität nur bedingt im Schulkontext betrachtet werden kann. Für dieses Praktikum habe ich den Fokus auf die Beziehung zwischen Menschen und Technik gelegt, um so das Thema eingrenzen.
Künstlerbeispiel: Egle Budvytytė: Songs From Compost: Mutating Bodies, Imploding Stars www.youtube.com/watch?v=tsL-u6CRWng
Weitere mögliche Kunstschaffende:
- Andra Ursata, Phantom Mass, 2021 (Skulpturen Glas-Körper-Zusammensetzungen)
- Nan Goldin, Sirens, 2022 (Video-collage mit Ausschnitten von Frauen aus Filmen/Videoarbeiten)
- Hannah Levy, Untitled, 2022 (Skulpturen; spinnenähnliche Metallfiguren)
- Lynn Hershman Leeson, Logic paralyzes the heart, 2022(Video: Hauptfigur Cyborg kommentiert Körperverlust)
- Sophie Taeuber-Arp (Dada-performances, entwickelte auch Kostüme für Cyborg-Zukunft fürs Cabaret Voltaire)
- Tishan Hsu, Watching 2, (2021) (Skulpturen, Integration Körper und Technologie)
Lektüre:
Rosi Braidotti, The posthuman, 2013
Donna Haraway, A Cyborg Manifesto, 1985
Paul Rekret, Seeing like a cyborg, the innocence of posthuman knowledge, 2019
Begründungsanalyse
Bei der Klasse handelt sich um acht Schüler:innen mit dem Schwerpunktfach Musik. Sie werden bis in die 6.Klasse den BG Unterricht besuchen und sind bereits seit der 3.Klasse bei der Lehrperson. Die Fachlehrerin berichtete mir in der Vorbesprechung, die Klasse sei super angenehm und motiviert. Sie besprechen gerne die Thematik, sie arbeiten eher langsam, dafür mögen sie eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Material. Das Schulhaus hat eine gute Medienausleihe mit Kameras und Schnittplätzen, sowie anderen Werkstätten.
Da die Lernende sich im letzten Jahr gründlich mit Fotografie auseinandergesetzt haben, macht es Sinn jetzt mit Video/ Bewegtbild weiterzumachen. Sie kennen bereits den Umgang mit Kameras und das Weiterverarbeitung von Material am Computer. Mit Video kommt nun Raum und Zeit zum Bild dazu. Es eignet sich, Video mit performativen Übungen zu kombinieren. Damit wird die Raumwahrnehmung, Rhythmik, Körperbewegung und -präsenz geschult und gestärkt, bevor es dann wieder zweidimensional als Film festgehalten wird.
Die Lernende sollen sich vorstellen, wie sich der Körper in der Zukunft durch wandelnde Umweltbedingungen sowie durch den Einfluss von Technologie verändern wird. Das Handy ist heute schon ein verlagertes Gehirn – eine Erinnerungsstütze, Lexikon, Kommunikationsmittel – welches wir immer bei uns tragen. Wie könnte sich dies in der Zukunft noch verstärken? Wird sich dadurch unsere Beziehung mit unserer Umwelt ändern? Wie werden wir gehen, uns bewegen? Wie werden wir kommunizieren? Werden wir anders aussehen? Wie wird der zwischenmenschliche Umgang sich entwickeln? Wie könnte ein Ausschnitt eines solchen Alltags aussehen?
Das Ziel des Unterrichtprojekts ist eine kurze Videoskizze zu erstellen, welche eine mögliche Alltagshandlung eines zukünftigen Menschen zeigt.
3. Lernziele und Beurteilungskriterien
Kompetenzen:
- Verbindungen herstellen vom eigenen Gestalten zur Kunst der Moderne und Gegenwart
- Auseinandersetzung mit neuen Medien: Performance & Video
Herangehensweise:
Lernen von Performancetechniken, Schulung von Körperwahrnehmung & Bewegung im Raum
Konzeptuelles Denken; Erarbeiten von eigenem Konzept (u.a. mithilfe von Osborn-Checkliste) und darauf basierend Entscheidungen machen bezüglich wie die Performance aussieht, wo sie stattfindet, was passiert, etc.
Lernen wie Performances analysiert und interpretiert werden können (Körper, Haltung, Handlung, Zeit, Raum, Material)
Organisation, Zusammenarbeit, Prioritäten setzen, Zeitmanagement
Ausführung von eigenem Konzept zum Kurzfilm
Lernen von Filmtechniken, was macht das bewegte Bild aus, Filmtechnische Begriffe kennen
Umsetzung: Lernen von Umgang mit Videotechnik, Umgang mit digitalen Material (Absichern von Filmmaterial, formatieren Kameraspeicherplatte, etc.)
Lernziele:
Die Lernende können:
– ihren Umgang mit Technik in ihrem Alltag reflektieren.
– ein Konzept entwickeln.
– aus dem Konzept eine Performance planen, bei der die verschiedenen Elemente wie Raum, Zeit, Körper, begründet genutzt werden.
– aus dem Konzept ein Drehbuch gestalten um eine Performance filmisch festhalten zu können.
– umgehen mit Videotechnik und -material.
– einen Kurzfilm erstellen welcher die umgesetzte Performance zeigt.
Entscheid für Lehr-Lern-Arrangements
- Die Klasse wird zusammen in das Thema eingeführt, Performances gemacht, das Thema diskutiert.
- Einzelreflektionen wie es ihr persönliches Leben beeinflusst.
- Die SuS arbeiten zu zweit/ dritt am Videoprojekt.
- Es werden in Gruppengesprächen die Arbeiten gegenseitig angeschaut und besprochen.
Beurteilungskriterien:
Die SuS sammeln ihre Mindmaps, Skizzen, etc. in einem Dossier. Das Konzept wird auch schriftlich festgehalten. Dieses Dossier und die verschiedenen Entwürfe werden zusammen mit der Videoskizze beurteilt. Dies zählt ingesamt Dreiviertel der Note. Ein Viertel der Note ist eine individuelle Note: die SuS schreiben als Hausaufgabe eine Analyse einer Performance.
Entscheidungskriterien Videoperformance:
Inhalt (Thema, Narration)
Umsetzung (Form, Technik)
Prozesskriterien (Qualität der Entwürfe, Entscheidungsfindung, Dokumentation)
4. Ablauf Methodischer Aufbau, Inputs, Übungen, Ergebnisse
Als Einstieg stärken die Lernende ihre eigene Körperwahrnehmung durch Performanceübungen. Sie sollen sich selbst und andere beobachten und erproben, wie der Körper und dessen Bewegung durch den Raum verschiedene Formen annehmen kann. Sie lernen was eine Performance ausmacht, wie Performances gelesen und kritisch betrachtet und werden können. Dazu schauen wir Beispiele von Performances an, und mit welchen Kriterien sie gelesen werden könnnen.
Wir setzen uns mit dem Thema Posthumanismus auseinander durch Inputs und diskutieren, wie sich dies auf den Lebensalltag der SuS einwirkt. Die Lernenden sollen reflektieren, was ihr heutiger Umgang mit Technik ist, und welchen Einfluss er auf alltägliche Momente hat, und wie sich dieser in Körperbewegungen reflektierten wird. Anschliessend imaginieren die SuS, wie sich dies in der Zukunft verändern wird.
Performances, die angeschaut und besprochen wurden:
- Erwin Wurm, One Minute Sculptures, 1998
- Valie Export, Körperkonfigurationen, 1972
- Marina Abramović/ Ulay, Rest Energy, 1980
- Marina Abramović, The Artist is Present, 2010
- Rebecca Horn, Two Hands Scratching both Walls, 1974
- Rebecca Horn, Weisser Körperfächer, 1972
- John Cage, 4‘33“, 1952
- Adèle Essle Zeiss, Statolit, 2018
- Egle Budvytytė, Songs from the Compost: mutating bodies, imploding stars, 2022
- und weitere Performances in der schriftlichen Performanceanalyse der SuS
Schwergewicht liegt auf dem Konzept für die Videoskizze. Die SuS basieren ihre Entscheidungen für die Performance auf einem Konzept, das sie sich zu zweit/ zu dritt erarbeiten. Sie gehen von einer Fragestellung oder Behauptung aus, und leiten daraus Entscheidungen bezüglich Zeit, Material, Raum und Körper (Aus dem Hauptinput leiten sie ab: wie bewegen sich die Performer:innen? Wo befinden sie sich? Wie sehen sie aus?). Aus ihrem Konzept gestalten sie dann die Videoperformance.
Einschränkende Rahmenbedingungen sollen den SuS helfen, im Zeitrahmen des Praktikums zu bleiben. Das Video soll als „One-shot-film“ gedreht werden, also ohne Schnitte. Das Video soll max. 5 Minuten dauern. Diese Regeln sollen helfen, damit nicht zu viel Zeit in der Postproduktion verloren geht. Sie lernen die Grundbegriffe des Filmens kennen (Bildkomposition, Aufnahmewinkel, Einstellungsgrösse, Kameraführung), und wie das Lesen der Handlung durch das Filmen beeinflusst werden kann. Die Videoskizzen werden jeweils in der Klasse geschaut und besprochen, damit sie weiterentwickelt und präzisiert werden können. Generell wird viel Raum für das Besprechen der Zwischenergebnisse gegeben, damit immer wieder auf einen neuen Aspekt eingegangen werden kann (Körperpräsenz, Handlung, Szenografie, Kameraführung, Bildkomposition, etc).
5. Reflexion
Der Schwerpunkt des Praktikums lag auf der Auseinandersetzung mit dem Medium Performance, welches eine sorgfältige Konzeption und präzisen Körpereinsatz verlangt. Ich fand es wichtig, dass die Lernenden ihre eigene und auch fremde Performances analysieren und interpretieren lernen. Daher wurde, nebst dem Üben der Performance, viel Zeit in deren prüfende Betrachtung eingesetzt. Diese Reflexion half einer stetigen Weiterentwicklung und Verschärfung ihrer Performances, auf der konzeptuellen Ebene wie auch in der Umsetzung. Dies verlangte von mir viel Flexibilität in der Planung der Lektionen; meine Reflexion jeder Doppelstunde bestimmte viel über den Inhalt der nächsten Lektion. So wurden Inhalte hinzugefügt (wie die Frage des Unterschieds zwischen Performance & Theater), aber dafür andere aus Zeitgründen weggelassen. Die Beschäftigung mit dem Thema des Posthumanismus kam daher leider etwas zu kurz. In der Zukunft würde ich den Umfang des Unterrichtsprojekts etwas weniger komplex machen, damit eine tiefere inhaltlichere Auseinandersetzung möglich ist. Insgesamt wurde viel von den Lernenden gefordert, die Resultate sind aber sehr zufriedenstellend. Es war eine tolle Klasse; Performance braucht viel Offenheit und gegenseitigen Respekt – ich hätte dieses Projekt nicht mit jeder Klasse durchführen können. Ich habe sehr viel während diesem Praktikum gelernt, und viel Sicherheit in meiner Rolle als Lehrerin gewonnen. Besonders schön fand ich, den Unterricht mit kurzen Körper- und Wahrnehmungsübungen zu beginnen, um 07:30 Uhr (Unterrichtsbeginn) half dies schwungvoll den Unterricht zu starten.