Abstract
Die ganze Klasse gestaltet als Gemeinschaftsprojekt eine Kettenreaktion, wie «der Lauf der Dinge» von Fischli & Weiss. Über drei Wochen arbeiten wir jeweils drei Nachmittage lang pro Woche in der Werkstatt der Atelierschule ZH – im Grundlagenfach 3d-Gestaltung. Am letzten Tag des Praktikums wird das Projekt vorgeführt. Wir laden die anderen vier Gestaltungsklassen zur Vorführung und zum Apéro ein. Es ist eine tolle Erfahrung, so viel Zeit mit einer Klasse zu haben um in ein Projekt einzutauchen und auch mal im Duzis zu unterrichten.
Sachanalyse (zusammen ca. 1500)
Der Lauf der Dinge ist ein filmisches Kunstwerk von Peter Fischli und David Weiss aus dem Jahr 1987. Es zeigt eine vorbereitete Kettenreaktion von Ereignissen in einem industrieartigen Raum; Ein Impuls wird mechanisch, oder z.T. auch durch chemische Reaktionen, von Objekt zu Objekt weitergegeben, ohne zusätzliche menschliche Einwirkung. In meinen Augen eignet sich dieses Werk als Inspiration ideal, um als Klasse etwas Ähnliches gemeinsam nachzustellen. Dabei geht es um Aktion und Reaktion, Verantwortungs- und Arbeitsteilung und Verhandlungen in Gruppen, Ursache- und Wirkungsbeziehungen allgemein im Leben, angewante Physik & Chemie, vielleicht auch darum, sich selbst als Teil eines Gesamten zu sehen — und im schulischen kontext für mich ganz wichtig: um kreative Lösungsfindung.
Begründungsanalyse
Situation:
- Die Jugendlichen kennen sich z.T. noch nicht, sie werden aus verschiedenen Klassen zusammengemischt. Es gibt eine Werkstatt, die sich über drei Räume verteilt.
- Budget 40.-/Person/Semester.
- Grundregeln der Werkstatt / Werkzeugeinführungen müssen noch vermittelt werden.
- Die Idee im Grundlagenfach ist, dass ich ein klares Programm für alle anleite.
- Am ersten Tag erfahre ich, dass aufgrund von zu wenigen Anmeldungen zwei Gruppen zusammengewürfelt wurden. Die Hälfte der Klasse ist also etwas enttäuscht, da sie eigentlich Objektdesign gewählt hatten. Auf die Motivation dieser Leute muss ich wohl besonders acht geben.
Begründung:
Der Lauf der Dinge eignet sich sehr gut um als Klasse zu adaptieren. Der Fokus ist dabei auf dem Prozess, und weniger auf dem Endprodukt, dies versuche ich den SuS auch aktiv zu vermitteln, damit keine falschen Erwartungen im Raum stehen. Diese Art von Gemeinschaftsprojekt soll die Teambildung unterstützen. Die SuS treten dabei auf eine natürliche Weise miteinander in Austausch und kommunizieren miteinander. («Wie kann ich deinen Impuls übernehmen und weitergeben?») Es fördert also die Sozialkompetenzen. Ziel des Projekts ist es auch, kreatives Denken («Ich kann die Werkzeuge auch als Musikinstrumente ansehen.») und Problemlösekompetenzen der SuS anzuregen und sie sollen den eigenen Arbeitsprozess stets reflektieren und evtl. entsprechend umplanen. («Vielleicht kann ich anstelle dieser komplexer Konstruktion auch einfach eine Schraubzwinge benützen.») Dabei hat jede Person der Klasse eine Teilverantwortung für das Ganze, lernt für eine Gemeinschaft mitzudenken («Wo braucht es noch unterstützung?») und erleben die Kraft einer Gemeinschaft. («Ich hätte nicht gedacht, dass wir das in dieser kurzen Zeit schaffen!»)
Lernziele
- Die SuS kennen die Verhaltensregeln der Werkstatt und halten sich daran.
- Die SuS können mit verschiedenen Maschinen der Werkstatt umgehen, ohne sich in Gefahr zu bringen.
- Die SuS finden einfache Wege, ihre Ideen umzusetzen.
- Die SuS lernen sich gegenseitig kennen und kommen über eine gemeinsame Arbeit in Kontakt miteinander. Sie kommunizieren und stärken ihre Sozialkompetenz.
- Die SuS lernen eine Teilverantwortung in einem Gemeinschaftsprojekt wahrzunehmen.
- Die SuS haben ein Erfolgserlebnis.
Beurteilungskriterien
- Kreative Lösungsfindung (Wurden spielerische Lösungen mit einfachen Hilfsmitteln gefunden?)
- Zusammenarbeit (Drängt sich die Person in den Vordergrund oder lässt sie die anderen arbeiten — oder gibt es gute Kommunikation und Arbeitsteilung? Sieht die Person anstehende Arbeit?)
- Motivation (Wird selbständig gearbeitet oder braucht die Person oft Anstösse?)
Ablauf (Methodischer Aufbau, Inputs, Übungen, Präsentationen, Ergebnisse (max. 1500 )
Die erste Lektion starteten Peter und ich gemeinsam, da ihn die Hälfte der Klasse auch noch nicht kannten. Peter machte eine Sicherheitseinführung in die Werkstatt mit einem Werkstattpass, den die SuS folgend unterschreiben.
Dann waren die SuS zu einer Methode eingeladen; sie bewegten sich im Raum und suchten QR-Codes zu Videobeispielen von Positionen der kinetischen Kunst und Ähnlichem:
Da das Fach ein Grundlagenfach ist, wollte und sollte ich den SuS gewisse Rahmenbedingungen als helfende Leitplanken vorgeben. Zuerst hatte ich geplant, dass die SuS in Paaren ein mechanisches Element kreieren. Folgend würden sie diese dann zu einer Kettenreaktion verbinden. Es war also eine Art Fusion von von Tinguely und Fischli&Weiss angedacht. Dazu hatte ich in der Vorbereitung Modelle gebaut und hielt für die Ideensuche der SuS Inspirationen aus dem Lehrmittel «Werkfelder» zum Thema Kinetik bereit. Die Idee mit Draht habe ich bereits früh wieder begraben, da diese Arbeit sogar bei mir sehr lange dauerte, frustrierend sein kann und auch an den Fingern schmerzte.
Bereits nach dem ersten Tag habe ich aber gemerkt, dass diese Vorgabe in diesem Kontext nicht sinnvoll ist. Die SchülerInnen an dieser Schule sind sich offene Aufgabenstellung gewohnt, und ohne diese Vorgabe gibt es viel mehr Platz für ihre eigenen Ideen. Plus: ein solches mechanisches Element hätte zu viel Zeit verlangt. So hat sich die Idee von einer «Tinguely-Fischli&Weiss-Maschine» sehr schnell zu einer reinen «Fischli&Weiss-Kettenreaktion» verwandelt.
Trotzdem erarbeiteten die SuS ihren Teil der Kettenreaktion in der ersten Woche als Partnerarbeit. Folgend verwandelte sich die Aufgabe in eine Gemeinschaftsaufgabe, wo alle für das Gesamte verantwortlich sind; von der Funktionstüchtigkeit bis zum Apéro, der Ansprache, der Filmcrew und der Crowdcontrol bei der Vorführung. Nach der ersten Woche waren nur noch wenige Inputs nötig, ab und zu haben wir eine Runde gemacht, in der alle ihren aktuellen Stand zeigten und auch gegenseitig Lösungsvorschläge anbringen konnten.
Reflexion
Das Projekt finde ich insgesamt gut gelungen. Für die nicht ganz einfachen Startbedingungen (oben erwähnt: Hälfte der Klasse erwartete Objektdesign) waren die SuS nicht schlecht motiviert. Sie brauchten etwas Anstoss, aber fanden mehr oder weniger ihren Zugang. Ich machte auch mehrmals eine Befindlichkeitsrunde, wo die SuS ihre aktuelle Motivation, Kommentare, etc. platzieren konnten. Ich glaube, das war ganz gut, dass die SuS dort ihre Gedanken und Bedürfnisse platzieren konnten. In der letzten Lektion wurde die Kettenreaktion gefeiert und mehrere SuS äusserten sich: «Ich hätte nicht erwartet, dass wir das schaffen.»
Die SuS, welche aus verschiedenen Klassen kommen, lernten sich schnell kennen, da ich klassendurchmischte Gruppen vorgegeben hatte. Ich habe mich sehr gefreut, dass eine Schülerin am Schluss sogar die Rückmeldung gab, dass sie es gut fand, dass ich die Gruppen vorgegeben hatte. Sie hat die Idee hinter dieser Entscheidung verstanden und war glücklich darüber.
Besonders an diesem Praktikum war, dass mein Praktikumslehrer etwas präsenter war, als in anderen Praktika. z.B. in der ersten Lektion arbeiteten wir sozusagen im Co-Teaching. Dies erschien mir aber auch sinnvoll, da die SuS auch ihn in dieser Lektion z.T. das erste mal sahen und nach dem Projekt weiterhin bei ihm Schule hatten; Es war also wichtig, dass sie auch ihn kennenlernen. Er trug auch während dem Projekt immernoch die Hauptverantwortung bezüglich der Sicherheit in der Werkstatt, und wusste natürlich viel besser, welche Materialien wo (in dieser eher unordendlichen) Werkstatt zu finden waren. Er war also eine Entlastung, die ich im Regelunterricht nicht mehr haben werde.
Dadurch, dass ich anfänglich ein mechanisches Element kreieren lassen wollte, habe ich die erste Lektion dem entsprechend durchgeführt. Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass wir «einfach» den Lauf der Dinge machen, hätte ich die Einführung anders gestaltet. Ein nächstes mal würde ich den Lauf der Dinge zuerst im Detail betrachten und besprechen: «Welche Bestandteile findest du poetisch? Welche Geräusche sprechen dich an? Welchen Teil gefällt dir besonders? Weshalb?» Weiter würde ich Challenges wählen lassen/verteilen, wie z.B. «euer Teil der Kettenreaktion muss…
…mindestens 30 Sekunden dauern» oder
…sich über 20 Meter erstrecken» oder
…eine möglichst langsame Bewegung enthalten».
Allgemein begleiteten mich in diesem Praktikum die Fragen: Wie viel Vorgabe ist hilfreich? Die Wahl der Vorgaben ist eine Grahtwanderung. Z.B. finde ich es sinnvoll, die Positionierung im Raum nicht vorzugeben, sodass die SuS miteinander aushandeln und kommunizieren müssen. Ein anderes Mal würde ich wohl ein Überthema, wie z.B. «Unterwasserwelt» vorgeben um aus dem Werk noch mehr ein Gesamtes zu schaffen und um den Einstieg in die Ideenfindung zu vereinfachen. Im Idealfall würde ich die SuS dieses Thema selbst wählen lassen, aber dies war zeitlich nicht realistisch. (Ich habe es anfänglich versucht, dann aber losgelassen.)
Als Folgeprojekt habe ich mir überlegt, dass es schön wäre, die Vorführung mit anderen Vorführungen zu koppeln. Evt. wäre es möglich, einen grossen Schulanlass zu gestalten, bei dem auch andere Auftritte stattfinden. Auch das oben erwähnte Thema könnte eine Verbindung schaffen zu einem grösseren, fächerübergreiffenden Thema, welches den ganzen Anlass überspannen könnte.
Der Dokumentationsfilm von unserem Lauf der Dinge ist leider recht schwach rausgekommen. Obwohl ich versucht habe, die Filmcrew zu begleiten und es eine hauptverantwortliche Person gab, die das Ganze dann auch geschnitten hat, haben sie es leider nicht geschafft, alle Stationen der Kettenreaktion zu filmen. Der Film ist eine Erinnerung, jedoch keine saubere, zeigbare Dokumentation. Dies würde ich ein nächstes mal enger begleiten, aber trotzdem ihnen klar die Verantwortung dafür abgeben. (Wieder eine Grahtwanderung)