Abstract
Kurzbeschrieb – In dem zweiwöchigen Kurs «Schere Schnitt Papier» widmeten wir uns mit Hand, Kopf und Herz dem Papierschnitt als Technik der Illustration. Klein oder riesengross, schwarzweiss oder farbig, flächig oder lückenhaft, positiv oder negativ, symmetrisch oder asymmetrisch, geordnet oder chaotisch – der Papierschnitt lebt von Gegensätzen. In diesem Spannungsfeld bewegten wir uns im Kurs und versuchten, die Möglichkeiten und Beschränkungen dieser Technik auszuloten.
Rahmenbedingungen – Das gesamte Unterrichtsprojekt «Schere Schnitt Papier» wurde am Vorkurs Luzern im Vertiefungsmodul Illustration gemeinsam mit Nina Wehrle innerhalb von zwei Wochen durchgeführt. Wir starteten in einem zweitägigen Workshop mit spielerischen Aufgaben und Fachinputs. Ein Workshop mit dem Ziel, ins Machen zu kommen, mit Schere, Schnitt, Papier und Riss zu spielen, eine Ideenschlacht anzuzetteln und dabei die ersten Hemmungen zu verlieren. Danach widmeten sich die Studierenden individuell einem eigenen Papierschnittprojekt in Form einer Bildserie, einem Heft oder einer raumgreifenden Arbeit.
Inhalt dieses Praktikums war es, die zwei ersten Tage Warm-Up mit spielerischen Einstiegsaufgaben und Fachinputs in das Thema Scherenschnitt zu planen, zu organisieren und durchzuführen sowie die Moderation der Zwischenpräsentation zu übernehmen.
Kursziele
Lernziele Vertiefungsmodul – Als ein erster Berührungspunkt mit dem Berufsfeld der Illustration vermittelt das Vertiefungsmodul Illustration die Grundlagen der Bildsprache. Die Studierenden verstehen, dass Zeichnungen lesbar sind – und wie sie ihre Illustrationen dazu bringen, genau davon zu erzählen, wovon sie erzählen möchten.
Lernziele «Schere Schnitt Papier» – Zusätzlich dazu lernen die Studierenden im Kurs:
» den Scherenschnitt als Technik der Illustration kennen und anwenden.
» unterschiedliche Arbeitsweisen mit dem Medium kennen.
» anhand von Fachinputs unterschiedliche Illustratorinnen und Illustratoren kennen, die mit dem Medium arbeiten.
» ihr Können in Komposition, Proportion und Narration sowie grafischer Reduktion zu schärfen.
» Entwurfsmethoden kennen, die einen Einstieg in ein Thema und den Prozess von der Ideenfindung, über die Bildfindung bis zur fertigen Illustration erleichtern können.
» eine Idee unterschiedlich darzustellen und ihre Wirkungskraft durch Präzisierung zu steigern.
» den Unterschied zwischen einem Einzelbild, einem Bildpaar und einer Bildserie kennen. Sie verstehen den Bezug zwischen den Bildern und kennen verschiedene mögliche Kriterien für eine Bildserie.
» den Unterschied einer Serie und einer Bildabfolge im Heft, sowie die Vor- und Nachteile der jeweiligen Form, kennen.
Beurteilungskriterien – In diesem Kurs, sowie im ganzen Vertiefungsmodul, werden keine Noten gesetzt. Die Studierenden erhalten während des Kurses individuelle Rückmeldungen zu ihrer Arbeit.
Programm
Tag 1
Warm-Up Vormittag: Papierschnitt-Parcours
Einsteigen in den Papierschnitt werden wir dort, wo er seine Anfänge hat – beim Schattenriss, Schwarzbild, Silhouettenschnitt – und schneiden diverse Formen aus schwarzem Papier, so dass ein Sammelsurium an Dingen entsteht. Geplant ist dafür ein Staffettenlauf, ein Parcours, mit sechs unterschiedlichen Stationen. Dabei unterscheiden sich die Stationen thematisch, um möglichst verschiedene Zugänge in den Scherenschnitt und auch formal unterschiedliche Experimente zu ermöglichen. Die sechs Stationen sind: «Nahrungskette», «Explosion und Feuerwerk», «Insektenkabinett», «Silhouettenkino», «Metamorphose» und «Parade und Rotondo». Das Silhouettenkino beispielsweise ermöglicht den Schnitt nach der direkten Beobachtung, während die Explosion und das Feuerwerk, das Insektenkabinett oder die Metamorphose der Vorstellungskraft entspringen. Die Parade und das Rotondo loten dabei die Technik des Scherenschnitts aus, bei der mit nur einem Schnitt gleich eine ganze Kolonne geschnitten wird.
Pro Station hat es Platz für 3 – 4 Studierende gleichzeitig. Der Stafettenlauf dauert 4 Lektionen. Die Studierenden müssen sich also für vier von den sechs Stationen entscheiden, da sie zeitlich nicht alle besuchen können. Pro Station eine Lektion. Die Studierenden haben demnach 45 Minuten Zeit, um in die Aufgabenstellung einzutauchen. 45 Minuten, um wilde Formen und Figuren zu schneiden. Dabei gibt es nur eine einzige Regel: Nichts wird weggeworfen, alles wird am Tisch der Station gesammelt.
Warm-Up Nachmittag: Kleber, Kleister und Komposition
Aus dem Sammelsurium an Papierschnitten, die im Parcours entstanden sind, werden nach dem Stafettenlauf nun Plakate im Format DIN A1 gestaltet. Dazu bilden die Studierenden eigenständig kleine Gruppen von 2-3 Personen. Pro Station können je nach Scherenschnitten auch zwei Plakate gestaltet werden.
Die Anordnung und Komposition wird zum Spiel mit Grösse und Proportion auf dem Blatt. Dabei sollen die Studierenden auch die formalen Möglichkeiten der Themen ihrer Station ausloten. Wie bringe ich das Plakat aus Scherenschnitten zu Feuer und Explosion auch wirklich zum Explodieren?
Gegen Ende des ersten Warm-Up-Tages hängen wir die Plakate an die Wände. Wir besprechen, was überrascht, was überzeugt, gut funktioniert und was noch fehlt, was verwirrt, stört und in Form und Anordnung hätte präzisiert werden dürfen.
Tag 2
Warm-Up zu drei Fragen: Positiv oder negativ? Symmetrisch oder asymmetrisch? Schwarz-weiss oder farbig?
Als Antwort auf diese drei Fragen entsteht eine Serie als Tagesaufgabe.
Wir starten in den Morgen mit einem ausführlichen Input zu unterschiedlichen Möglichkeiten, die der Scherenschnitt bietet. Schwerpunkte dieses Inputs sind die Themen Positiv- und Negativform im Scherenschnitt – darüber, ob ein Scherenschnitt aus schwarzem Papier so geschnitten wird, dass das Weiss (die negative Form) oder das Schwarz (die positive Form) zeichnend ist – die Symmetrie und Asymmetrie und das farbige Schichten durch bunte Papiere. Danach erhalten die Studierenden die Tagesaufgabe, eine Serie zu einem zugelosten Thema mit dem Fokus auf die frisch gelernten Aspekte des Scherenschnitts (Positiv- und Negativform, Symmetrie und Asymmetrie, Einfarbig- und Mehrfarbigkeit) zu gestalten. Der Input darüber, was eine Serie zur Serie macht, erfolgt am Nachmittag, nach dem ersten Eintauchen in die Aufgabe.
Schritt 1: Zeichnerisch Denken
Die Studierenden ziehen ein Los, und damit ihr Thema. Auf losen Zetteln verteilt sind fünf verschiedene Themen: Paar, Doppelgänger, Leben und Sterben, Spiegelbild und Balance. In einem ersten Schritt erstellen die Studierenden zum zugelosten Thema nun ein zeichnerisches Mindmap.
Die Studierenden entscheiden sich bereits zu Beginn für ein Format. Zur Auswahl stehen die Grössen DIN A4 oder DIN A6. Die Studierenden entscheiden sich bei der Formatwahl auch gleich für eine Umsetzung in Hoch- oder Querformat, so dass die schlussendliche Serie in der Papiergrösse und -ausrichtung einheitlich ist.
Schritt 2: Formen schneiden und Farben schichten
In einem zweiten Schritt werden die beim zeichnerischen Denken entstandenen Bildideen zum zugelosten Thema mit Schere in Papier geschnitten. Eine wilde Sammlung an Scherenschnitten entsteht, die mit der Positiv- und Negativform, mit Symmetrie und Asymmetrie, spielen. Es wird mit schwarzem Papierschnitt gezeichnet und mit der Lücke, die entsteht, dem Weissraum, der sich schneiden lässt und womöglich auch mit bunten Papieren, in Farben geschichtet. Dabei werden alle Papierstücke, die Reste, die Positiv- und Negativform aufbewahrt, drapiert, aber noch nicht fixiert.
Schritt 3: Bildserie und Baukasten
Nach einem Fachinput zur Serie, ihren Eigenschaften und Kriterien, entsteht aus den Einzelbildern, den Papierschnitten und Umsetzungen vom Vormittag nun eine Serie. Mit kleinen Details werden die Einzelbilder verändert, aufeinander abgestimmt, um neue Formen oder einen ganzen Baukasten ergänzt – so dass sich die Einzelbilder gegenseitig aufladen, miteinander in Diskurs treten und als Serie neue Geschichten erzählen. In eine Reihenfolge gebracht wird die Serie schlussendlich in ihrer Abfolge aufgehängt, gelegt, gesetzt und im Plenum besprochen.
Leitfragen durch die Besprechung:
Wo sehen wir Serien, die funktionieren? Warum funktionieren sie? Oder was fehlt? Was hält die Bilder zusammen? Was unterscheidet sie? Wo wird mit Konstanten, wo mit Kontrasten gearbeitet? Wo finde ich Wiederholungen, wo Variation? Wie wird der Blick geführt? Spielt die Reihenfolge der Einzelbilder in der Serie eine Rolle? Welche? Wie wird der Blick im Einzelbild geführt? Wie in der Serie? Was verstehen wir? Was erzählen sie? Und wie könnte das Bild verändert werden, damit es noch besser von sich erzählt? Was überrascht? Wie laden sich die Einzelbilder gegenseitig auf? Wo schwächen sie sich ab? Worauf könnte die Serie verzichten? Könnte sie überhaupt verzichten? Und wie könnte es in der Vertiefungsaufgabe weitergehen?
Reflexion
Der ganze erste Warm-Up Tag war ein Erfolg. Die Studierenden kamen ins Machen, ins Sammeln, Schnippeln und Schneiden. Dadurch, dass die Klasse am selben Projekt arbeitete, entstand auch eine angenehme Atmosphäre. Alle zogen am selben Strick. Voller Experimentierfreude liessen sie sich auf die Tagesaufgabe ein, und waren auch am Nachmittag, bei der Erstellung der Plakate, voller Elan und Kreativität mit an Bord. Ein Einstieg in den Scherenschnitt, den ich genauso auch ein zweites Mal durchführen würde.
Während der erste Tag sprühend, energiegeladen und mit Bergen an Scherenschnitten ausklang, begann der zweite Tag des Warm-Ups eher leise, langsam und überlegt. Mit der Ideen- und Bildfindung durch das visuelle Mindmap haben die Studierenden eine weitere mögliche Herangehensweise an ein Thema kennengelernt. Eine Herangehensweise, die in grossem Kontrast zu derjenigen vom Vortag steht. Wenn ich das jetzt so schreibe, denke ich, es war sinnvoll, die Studierenden zwei so unterschiedliche Herangehensweisen kennenlernen zu lassen. Vor Ort war ich mir jedoch etwas unsicher, ob der zweite Tag nicht vielleicht auch besser mit einem wilden Sammelsurium hätte beginnen sollen.
Eine mögliche Variante sehe ich darin, einen zusätzlichen Schritt vor der Erstellung des visuellen Mindmaps einzufügen. Bei diesem Schritt würden sich dann alle Studierenden, die das selbe Thema per Los gezogen haben, an einem Arbeitstisch versammeln und dort in ähnlich direkter Art, wie der beim Parcours, spontane Scherenschnitte zum Thema schneiden und sammeln. Dadurch würde ein erstes Moodboard entstehen, ein Austausch passieren und ein Einstieg geschehen, der den vorigen Tag etwas langsamer ausklingen lässt und die zweite Herangehensweise nicht in derart grossem Kontrast zur ersten stehen lässt.
Bücherliste
In der folgenden Liste werden die Bücher aus der Bücherliste von oben rechts nach unten links mit Titel, Autor:in und Verlag aufgelistet:
- !WOW! Symmetrical Papercuts, Henning Wagenbreth, Strane Dizioni
- Final Cut – Papierschnitt als eigenständiges künstlerisches Medium, Paula von Sydow und Sandrine Teuber, Kerber
- The Forest, Valerio Vidali, Violeta Lopiz und Riccardo Bozzi, Enchanted Lion Books
- Spiegelungen des Lebens – Papierschnitte, Bruno Weber, Haupt Verlag
- Paper Cutting, Contemporary Artists – Timeless Craft, Chronicle Books
- Poet mit Feder und Schere, Hans Christian Andersen, Wienand Verlag
- Scherenschnitte von Luise Duttenhofer, AT Verlag
- Exorsurisation, Caroline Sury, Les Presses du Réel
- Henri Matisse, The Cut Outs, Museum of Modern Art New York
- Scherenschnitte, Angela und Andreas Hopf, Bruckmann
- Papercraft – Design and Art with Paper, Gestalten
- Matisse, der ausgeschnittene Himmel: die späten Scherenschnitte, Wienand Verlag
- Querschnitt – Schweizer Scherenschnitte aus fünf Jahrhunderten, Felicitas Oehler, Haupt Verlag