An der direkten Landschaftszeichnung mit Kohle und Tusche begegnen wir Möglichkeiten der Tiefenwirkung und Reduktion, dem Einsatz von Tonwerten und Struktur sowie den Problemen von Komposition und Ausschnitt. Ich gab mir die Einschränkung, keine Minute im Klassenzimmer zu verbringen.
Schule: Kantonsschule Alpenquai Luzern
Klasse: 2.Klasse Langzeitgymi, 2020
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Inhalt
Der Lehrplan für die zweite Klasse sieht u.a. vor, dass die Schüler*innen
– ihre Eindrücke von Raum und Körper abbilden.
– Körper und Raum miteinander in Beziehung setzen.
– für die Darstellung von Körperlichkeit Hell-Dunkel-Modulationen anwenden.
– beim Beobachten Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden.
– Bilder grafisch reduzieren können.
– die Wirkung von unterschiedlichen Bildkompositionen erproben.
– Werke im Kontext ihrer Entstehung verstehen.
Die Klasse hatte im Distanzunterricht u.a. Bäume gezeichnet. Diese Zeichnungen waren mit schwarzem Filzstift linear gezeichnet und liessen weder räumliche Tiefe noch Kontext oder Komposition erkennen.
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Ich wollte die Qualitäten und Probleme des Unterrichtens im Freien ausführlich kennenlernen, um mir dieses grosse Schulzimmer zu erschliessen. Deshalb legte ich mir die Einschränkung auf, keine Minute des Unterrichts im Klassenzimmer abzuhalten. Also investierte ich viel Zeit in die Recherche des Umraums der Schule. Auf der Suche nach interessanten Orten lief ich am Ufer entlang und durchs Quartier, durchstöberte jeden Winkel des Tribschen-Wartegg-Rippe und studierte die Geschichte des Tribschenmoos (Tribschen – So entstand ein Quartier) sowie seine Flora und Fauna (Natur- und Landschaftsschutz Stadt Luzern).
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Intermezzo
Ich war begeistert von der Vielfalt und dem Potenzial der Tribschen-Wartegg-Rippe. Meine ursprüngliche Idee war deshalb, dass sich die Schüler*innen ein Segment dieser langen Rippe auswählen und aus den persönlichen Entdeckungen vor Ort über mehrere Wochen ein individuelles Thema entwickeln. Durch ein Interview mit einem Bewohner / einer Nutzerin der bebauten Umgebung sollte eine mehrperspektivische Sichtweise ermöglicht und das Thema Natur damit in Verbindung gebracht werden. Blickbezüge, Vorder- und Hintergrund, Raum und Körper sowie Bildkomposition (s. Lehrplan) sollten zum Einsatz kommen, um zu dem Gefundenen Aussagen zu machen.
Mögliche Abschnitte der Tribschen-Wartegg-Rippe mit beidseitig interessanten Bezügen zur bebauten Umgebung (jeweils zwischen den roten Linien).
Orte zum Zeichnen bei Schweinewetter (gelb).
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Neuanfang
Leider musste ich diesen Plan nach langem Planen und Abwägen verwerfen. Ich kannte das Terrain mittlerweile sehr gut und musste eingestehen, dass es auf der ganzen Länge an unzähligen Stellen sehr gefährlich ist. Das im Grossen und Ganzen unbeaufsichtigt Arbeiten der Klasse hätte ich hier nicht verantworten können. Weil ich mich aber so für diesen Ort begeistert hatte und mich kein anderer für diese Arbeit überzeugte, startete ich nochmals von vorne.
Die Zeit wurde jetzt knapp, und so entschied ich mich für einfache Aufgaben der Landschaftszeichnung mit der Bedingung, dass der Unterricht zu 100% draussen stattfinden sollte. Um leichtes Gepäck zu haben, gab ich als Vorgabe die Techniken Kohle und Tusche. In einem ersten Schritt standen Körper und Raum im Vordergrund, in einem zweiten sollten Ausschnitt und Komposition dazukommen. Ich suchte mir dafür zwei für die Aufgaben und die Lichtsituation des frühen Nachmittags besonders geeignete Orte aus: die Wiese oberhalb des Richard-Wagner-Museums und der Aussenraum der Schule.
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Lernziele und Beurteilungskriterien
- Die Schüler*innen sollten folgende Werkzeuge zur Herstellung von Tiefenwirkung einsetzen können: Luftperspektive/Grauwerte, Grössenunterschied, Überschneidungen, abnehmender Detailgrad, Körperdarstellung durch Licht und Schatten.
- Entwicklung von zeichnerischen Strukturen zur vereinfachten Darstellung von Details.
- Wahl des Ausschnitts bzw. Beachtung der Komposition, zur Stärkung der Tiefenwirkung: Platzierung eines Objekts im unmittelbaren Vordergrund, Einplanung des Hintergrunds / weite Sicht ins Format.
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Ablauf
Die Lektionen begannen jeweils mit spielerischen Zeichenübungen. Sie sollten die Aufmerksamkeit für bestimmte Wahrnehmungsprobleme schärfen.
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Beim Zeichnen mit der Kohle lag der Fokus auf den raumschaffenden Mitteln, dem Ausschnittnehmen und der Vereinfachung durch zeichnerische Strukturen. Die SuS lernten, mit Kohle umzugehen und räumliche Szenarien positiv und negativ zu modellieren. In einer ersten Zeichnung lernten sie am Sujet, mit Kohle zu zeichnen, an den folgenden zwei Doppellektionen arbeiteten sie dann an einer Zeichnung.
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An einem Tag konnten wir die Ausstellung «Walkenwold» von Jeroen Geel, Monika Müller und Timo Müller im (ort) besuchen. Die Ausstellung bot die Gelegenheit, Haltungen von drei KünstlerInnen zum Thema Natur/Landschaft im Detail zu studieren. Über einen Fragenkatalog konnte ich die Aufmerksamkeit der Klasse auf viele Eigenschaften und Entscheidungen in den Arbeiten aufmerksam machen. Da der Praktikumslehrer einer der Ausstellenden war, konnten sie im Anschluss auch noch Einblick in seine Arbeitsweise bekommen. Am Schluss mussten sich alle ein Bild einprägen und als Hausaufgabe aus der Erinnerung zeichnen.
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Beim zweiten Teil (mit Tusche) lag der Fokus wieder auf den raumschaffen Mitteln. Der Ausschnitt sollte jetzt aber bewusst auf seine Komposition hin ausgesucht werden. Als Referenz diente besonders Utagawa Hiroshiges 100 berühmte Ansichten von Edo. In einer ersten Zeichnung lernten sie die Methode an einer Vorstudie mit zwei Grauwerten kennen. Während der folgenden zwei Doppellektionen arbeiteten sie an einer Zeichnung mit drei Grauwerten.
und Zeichnungen mit drei Grauwerten (untere zwei Reihen).
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Um das Thema Landschaftszeichnung nochmals in einen anderen Kontext zu stellen, verteilte ich am letzten Tag eine grosse Auswahl an Landschaftsmalereien vom Mittelalter bis heute. An ihnen galt es, die raumschaffenden Mittel zu untersuchen, und die Malereien aufgrund der Funde in ihre zeitliche Ordnung gebracht. Dabei entdeckten die Schüler*innen epochenspezifische Merkmale und formulierten ihre Wahrnehmung. Sie verglichen auch ihre eigenen Arbeiten mit den historischen Landschaften und ordneten sie ein. Das Ordnen war ein Experiment, weil es mehr als eine gewagte Behauptung ist, dass sich die Nutzung unterschiedlicher raumschaffender Mittel in eine erahnbare Reihenfolge bringen lässt. Gerade falsch geratene Stil-Abfolgen boten aber die Möglichkeit, über das Gesehene und Interpretierte zu sprechen.
Und im Bild oben entscheiden sie sich individuell für ihren Lieblingsstil: beim Rokoko und der Romantik drängen sich die Mädchen, beim Realismus stehen ein paar Jungs,
und beim Impressionismus ist nicht genug Platz für alle. (Mittelalter, Renaissance, Barock, Expressionismus und zeitgenössische Malerei gehen leer aus)
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Den krönenden Abschluss bildete die Vernissage ihrer verkohlten und vertuschten Zeichnungen im Schulhausgang. Dazu wurde mit der übriggebliebenen Tusche angestossen (Cola).
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Reflexion
Ich erachte das Projekt als gelungen. Das Interesse der Schüler*innen, neue Techniken zu beherrschen und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse zu verbessern, war in dieser Klasse zu spüren, auch wenn sich nicht alle gerne mit schwarzer Farbe beschmutzen. Ihre Freude und Konzentration waren eine schöne Belohnung und zeigen, dass wir in dieser kurzen Zeit ein gutes Klima erreichen konnten. Besonders erfolgreich scheint mir die sorgfältige, doch flexible und auf Aussenraum und Wetter angepasste Planung. Ich habe auch an jedem Nachmittag wieder neue Schwierigkeiten entdeckt, auf die ich mich einlassen oder für die ich Lösungen finden musste (Materialtransport, Zugang zu Wasser, Vor-/Nachbereitung, Möglichkeiten des Präsentierens, grössere Distanzen zwischen den Schüler*innen, Lärm, Unruhe oder Konzentration der Klasse, Planung mit Wetter, etc.). Aber die tatsächlichen Probleme hielten sich in Grenzen. Und im Freien zu arbeiten war für die Klasse und für mich eine wertvolle Entscheidung und hatte einen entspannenden Effekt auf alle – nicht zuletzt wegen der Maskenpflicht in Innenräumen.
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Ort
Wenn ich das Praktikum nochmals machen könnte, würde ich die Machbarkeit und das Risiko des Zeichnens im Gelände viel früher klären. Es war nicht mein Wunsch, einen formalen, technischen Unterricht zu führen, mir fehlte nach Erkennen des Risikos die Zeit, meine Vorarbeit nochmals mit einem neuen Ort zu machen. Und vielleicht schwächte auch meine Begeisterung für den ursprünglichen Ort meine Lust, mich auf einen weniger besonderen Ort einzulassen. So wurde der Ort zu einem blossen Vorbild, das es abzubilden galt. Der Ort wurde so vom inhaltlichen Zentrum zu einem Nebenschauplatz. Bei einem so angelegten Projekt würde ich in Zukunft lieber in der Attraktivität des Orts Abstriche machen bzw. mich auf einen unbekannten Ort einlassen als ihn aus dem Fokus gleiten zu lassen. Ich bin immernoch überzeugt vom Ursprungsprojekt, vielleicht lässt es sich in einem anderen Zusammenhang verwirklichen.