ABSTRACT
In diesem Projekt wird der Fokus auf den Moment gerichtet, an dem eine natürliche Form auf eine menschgemachte Form trifft. Um sich diesem Thema zu nähern, werden drei Herangehensweisen verwendet:
– Das Beobachten – das genaue Hinschauen
– Das Beschreiben – das Wiedergeben
– Das Hinzufügen – das Eingreifen und das Weiterdenken
Als Endprodukt dieses Themenblocks entwickelt die SuS eine Werkreihe bestehend aus einer Auswahl von gestalterischen Resultaten, die mithilfe von den oben genannten Herangehensweisen entstanden sind. Die einzelnen Arbeiten der Werkreihen sollen einen Bezug zueinander haben.
Das Projekt Natürliche Form trifft auf menschengemachte Form wurde als klassisches Unterrichtprojekt angedacht. Coronabedingt musste es jedoch zu einem Distance-Learning-Projekt umgestaltet werden.
BEGRÜNDUNGS- UND SACHANALYSE
Ein zukunftsfähiges Leben kann meiner Meinung nach nur gelingen, wenn der Mensch bewusst und respektvoll mit seiner Umwelt umgeht. Dies setzt voraus, dass er zum einen die natürlichen Abläufe und Gegebenheiten bis zu einem gewissen Grad versteht und zum andern, dass er diese auch wertschätzt. Um das zu erreichen, steht in erster Linie das genaue Beobachten einer gegebenen Situation im Zentrm. Später kommen das Wiedergeben und das Verstehen zum Zug. Schliesslich kann interagiert oder eben koexistiert werden.
In dem prozesshaften Projekt Natürliche Form trifft auf menschengemachte Form arbeiten die SuS mit drei verschiedenen Medien (Text, Zeichnung bzw. Malerei, Installation). Sie behandeln ein und dieselbe Beobachtung mit allen drei Medien. Solche Übersetzungen eröffnen stets neue Blickwinkel auf eine Sache. Zusätzliche Perspektivenwechsel finden statt, indem die Arbeiten zwischen den Arbeitsschritten unter den SuS ausgetauscht werden.
Mich interessiert, was die SuS als natürliche Form und was als menschliche Form definieren und welchem Aufeinandertreffen sie thematisieren.
AUFBAU
Das Praktikum fand gleich zu Beginn des Lockdowns, während vier Wochen, statt. Die Fachschaft Bildnerisches Gestalten an der Bündner Kantonschule Chur erteilte jeweils anfangs Woche Aufträge an die Klasse, die bis Ende Woche erledigt werden müssen. Ich passte mich dieser Unterrichtsgestaltung an und richtete meine Planung so aus, dass ich der Klasse jeweils am Sonntagabend die Aufträge für die kommende Woche erteile. Neben einem Mail, das vor allem organisatorischer Natur war und einem angehängten Aufgabenblatt, filmte ich mich mit meiner Computerkamera und erkläre die Aufgabe nochmals mündlich mit anderen Worten. Ich tat dies zum einen, weil ich denke, dass es für eine Klasse sehr seltsam sein kann, von einer Person, dessen Gesicht und Wesen ihr ziemlich fremd ist, jede Woche Aufgaben zu bekommen. Und zum andern, weil ich glaube, das Thema des Auftrages so von einer anderen Seite beleuchten und gleichzeitig mein eigenes Interesse für die Sache zeigen zu können.
Die grobe Wochenübersicht sah folgendermassen aus:
Woche 1: Beobachten und Beschreiben
Die SuS halten Ausschau nach Momenten oder Situationen, in denen eine natürliche Form auf eine menschgemachte Form trifft. Diese beschreiben sie mit einer von ihnen gewählten Textform. Die Texte schicken sie mir.
Woche 2: Zeichnen
Ich leite die Texte an eine Mitschülerin oder einen Mitschüler weiter. Sie oder er fertigt eine Zeichnung oder Malerei anhand dieser Texte an. Das Bild wird fotografiert oder gescannt und dann auf die Dropbox geladen.
Woche 3: Installation im Raum
Die Fotos oder Scans von den Bildern gelangen nun wieder zurück an den oder die Verfasser*in des Textes. Jetzt haben die SuS ihren ursprünglichen Text und das Bild, welches aufgrund des Textes angefertigt wurde. Anhand von diesen beiden Arbeiten inszenieren die SuS eine Installation im dreidimensionalen Raum, die sie fotografieren.
Woche 4: Fertigstellen
Nun haben die SuS drei Arbeiten: den Text, das Bild des Mitschülers oder der Mitschülerin und das Foto der Installation. Ziel dieser Woche ist es, Unfertiges abzuschliessen und eine in sich stimmige Werkreihe mit einem passenden Titel zu gestalten.
BEURTEILUNG
Ungefähr eine Woche, nachdem das Praktikum bereits begonnen hatte, erfuhr ich, dass keine Noten für Aufträge gegeben werden konnten, die nach dem 16. März 2020 erteilt wurden. Also benotete ich die Werkreihen nicht, sondern schrieb am Ende des Praktikums ein ausführliche Rückmeldung für jede Schülerin und jeden Schüler.
Bewertungskriterien
– Handhabung der gestalterischen Mittel
– Eigene Idee entwickeln, eigene Ansätze ausprobieren, Bildfindung bezogen auf das Thema
– Endprodukt: Nachvollziehbarer Zusammenhang der einzelnen Elemente der Serie
– Endprodukt: Gestaltung, passender Titel
– 6ff.branching.ch: mindestens drei Posts pro Schüler*in
Lernziele
– Differenzierte Kenntnisse des Zusammenspiels von Bild und Text
– Fähigkeit, Beobachtetes beschreiben zu können
– Gegebenes genau beobachten und neues hinzufügen zu können
– Erkennen, wie vielseitig die Betrachtungs- und Herangehensweisen sein können
– Prozesshaftes Arbeiten
– Sinnvolle Nutzung der digitalen Medien
– Inspiration von Mitschüler*innen (u.a. durch Branching)
– Gemeinsam einen Gestaltungsprozess denken
REFLEXION
Es war ein sehr spezielles erstes Praktikum, keine Frage. Zwei Wochen vor dem geplanten Start besuchte ich die Klasse und verspürte eine interessierte, positive Resonanz und freute mich sehr auf den Unterricht mit ihr. Nach der Bekanntgabe der Lockdown-Massnahmen war ich zuerst enttäuscht, dass das Praktikum nicht stattfinden konnte, denn mir gefiel mein eigentliches Vorhaben mit der Klasse. Dann aber dachte ich, dass diese Situation auch eine Herausforderung ist und der BG-Unterricht nicht ungeeignet für das Distance-Learing ist. Meine Praktikumslehrperson und mein Praktikumsmentor waren beide sehr offen für meine Vorschläge; und so konnte ich dann das Praktikum – wenn auch anders als ursprünglich geplant, trotzdem durchführen.
Ich denke, vieles verlief gut in dieser Praktikum und meiner Aufgabestellung: die offenen Aufgaben haben den SuS viel Spielraum gegeben, ihren eignen Interessen nachzugehen und diese so zu stärken. Auch die Sinnhaftigkeit der Aufgabe konnte geklärt werden, indem Verbindungen zu anderen Bereichen und vor allem zur Alltagswelt der SuS gemacht wurden. Jedoch hätten die Bezüge doch noch ein wenig konkreter ausfallen können. Was mir jedoch wirklich sehr gefehlt hatte, waren die direkten Reaktionen der SuS und mit ihnen die menschliche Interaktion. Von meiner Seite fehlte bis auf das Angebot, dass sich die SuS bei Unklarheiten per E-Mail oder Telefon melden können, jegliche aufgabenbezogene Lernunterstützung.
Auch in einer Situation, in der Distance Learning verlangt wird, sollte ich als Lehrperson fähig sein, echte Dialoge mit Schülerinnen und Schüler zu führen und sie so auch flexibel zu unterstützen und auf ihre Anliegen eingehen zu können. Falls ich wieder einmal mit so einer Situation konfrontiert werde, muss ich Lösungen dafür finden. Möglichkeiten wären zum Beispiel digitale Sitzungen via Zoom oder Webex, Chaträume oder eins-zu-eins Telefonate. Was auch immer gewählt wird, die SuS müssen die Möglichkeit haben, direkt auf mich oder meine Aufgaben zu reagieren und ich muss dies auch beobachten können.
Für die SuS war es anscheindend sehr ungewohnt, so offene Aufgaben zu erhalten. Gemäss einigen Feedbacks, freuten sie sich jedoch sehr darüber. Neben den offenen Aufgaben waren auch zwei Aufgabentypen neu für sie: die Installation und die Gestaltung einer Werkreihe. Um dort bessere Resultate erreichen zu können, hätte ich deutlich mehr Zeit benötigt, um zu üben und vertiefen.
Das Nebenprojekt Branching (siehe unten) war spannend! Das Medium war für die aktuelle Situation perfekt. Doch auch hier waren einige SuS ein wenig überfordert und konnten sich nicht wirklich gewinnbringend an der Webseite mitwirken. Trotzdem: es war toll zu sehen, wie das Netz ständig wuchs.
ENDPRODUKTE
NEBENPROJEKT: 6ff.branching.ch
Neben dem oben ausgeführten Hauptprojekt, erteilte ich einen Parallelauftrag: Branching.
Was ist Branching?
Branching.ch ist eine interaktive Webseite, auf der verschiedene Personen über die Sprache des Internets kommunizieren. Die Kommunikation erfolgt in Bildern, Tönen, Texten, GIF‘s, Videos, Screenshots oder anderen Medien, die mit dem Internet kompatibel sind – also alles Digitale. Dein Upload basiert auf dem, was du auf der Seite entdeckt hast und was dich inspiriert hat. Diese Verknüpfung ist visuell ersichtlich. Mit der Zeit wird das Netz wachsen und komplexer werden und zu einem sich entwickelnden Mindmap der Eindrücke werden.
Branching und 6FFab
Das Project Branching.ch habe ich vor einigen Jahren mit drei Freunden in die Welt gerufen. Für die vier Wochen, dich ich mit der Klasse «verbringen» durfte, sollte Branching unser Begleiter sein. Dafür habe ich eine neue, leere Seite für eure Klasse erstellen lassen. Sie heisst 6ff.branching.ch.
Ich machte den Anfang und postete einen Beitrag, der mit dem Thema Natürliche Form trifft auf menschengemachte Form zu tun hat. Dann konnte es wirklich beginnen. Die SuS sollten sich den ersten und die darauffolgenden Posts anschauen und überlegen, mit was sie ihn assoziierten oder liessen sich einfach davon inspirieren. Das posteten sie dann und zeichneten die Verbindung. Es durfte jedes erdenkliche digitale Format haben – z.B. ein Video, das sie auf YouTube gesehen haten, eine Zeichnung, die sie abfotografiert hatten, ein Foto, eine Tonaufnahme beim Singen, ein Zeitungsartikel etc.