Wie soll ich es erzählen? – Die Inszenierung einer Geschichte – nicht die Handlung – steht für einmal im Zentrum. 14 Schülerinnen und Schüler (SuS) lernen das Einmaleins des narrativen Videos und produzieren einen eigenen Werbeclip. Parallel entdecken sie die vielschichtigen Inszenierungsarten der europäischen Malerei vom Mittelalter bis zum Rokoko.
Schule: Kantonsschule Musegg Luzern
Klasse: Schwerpunktfach 4.Klasse Kurzzeitgymi, 2019
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Inhalt
Der Unterricht mit der 4.Klasse Kurzzeitgymnasium im Schwerpunktfach findet an fünf Nachmittagen à vier Lektionen statt. Die Technik Video und die Malerei von Mittelalter bis Rokoko ist mir von der Praktikumslehrerin mit Verweis auf den Lehrplan vorgegeben. Mit beidem hatten sich die SuS davor im Unterricht noch nicht näher beschäftigt. Ich verknüpfe die Kunstgeschichte mit dem Video-Projekt indem ich bei beiden Teilen die gestalterischen Methoden der Inszenierung ins Zentrum rücke.
Ich wähle den kurzen Werbeclip als Genre, weil die SuS in ihrem Alltag damit auf allen Kanälen unterhalten, überflutet, geködert und konditioniert werden. Sie sind schon damit vertraut, und ich kann von Interesse ausgehen. Die SuS entwickeln zuerst einen Sinn für die Eigenschaften der wesentlichen filmischen Konventionen (Perspektiven, Einstellgrössen, Objektive, Schnittarten und Einstellungsabfolgen, Lichtgebung und Tonspur) und setzen sie gezielt in ihrem Projekt ein.
Die Kunstgeschichte ist Teil der Maturavorbereitung. Konkret soll sie die SuS auf die Bildanalyse vorbereiten. Ziel ist das vertiefte Auseinandersetzen mit den Gemälden über die Wahrnehmung. Die SuS untersuchen die Bilder und erarbeiten wiederkehrende Aspekte der Darstellung (Abgebildete Motive/Themen, Mittel zur Darstellung von Raum, Figur-Hintergrund-Beziehung, Licht/Farbe/Kontrast, Nähe zu/Abweichung von einer fotorealistischen Darstellung). Über Hintergrundwissen lernen sie, deren Einsatz mit den für die Epochen typischen künstlerischen Absichten in Zusammenhang zu bringen.
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Ablauf
Projekt: Narrativer Film
Werbeclips und die gewachsenen Erzählformen des narrativen Films sind den SuS aus ihrem Alltag bestens bekannt. Beim Einstieg ging es darum, ihr reiches Vorwissen zu aktivieren und durch Kurz-Inputs zu ordnen. In Kurzübungen filmten die SuS mit ihren Smartphones in Kleingruppen Werbeclips von max. 20 Sekunden. In der ersten Übung haben die SuS 10 Minuten Zeit, einen Werbeclip für das fiktive Parfum «Minimal Panda» zu planen und zu filmen. Vorgabe ist, ihn in einer einzigen Einstellung zu drehen. Erst nach gemachter Arbeit gebe ich einen Kurz-Input zu Objektiv, Blickwinkel, Einstellgrössen und deren Wirkungen. Die Inputs schärfen die Blicke für das darauf folgende Visionieren und Besprechen der Ergebnisse. In der zweiten Übung haben die SuS 20 Minuten Zeit, einen Werbeclip für den Kaugummi «Hollywood» zu drehen. Vorgaben sind, ihn in 3–5 Einstellungen zu drehen und bewusst auf das Gelernte aus dem ersten Input zu achten. Der darauf folgende Kurz-Input zu Schnitt und Einstellungsabfolgen schärft die Blicke wieder für’s Sichten und Besprechen der Ergebnisse.
Durch diese Abfolge können die SuS ihr Vorwissen spielerisch anwenden und in kurzen Zyklen neu Gelerntes erkunden. Das Vorgehen verflechtet das Anwenden mit dem Zuhören und orientiert sich primär an der Wahrnehmung der SuS. Sie sollen Empfindungen beschreiben und ihr Auge schärfen. Am Schluss des Nachmittags besprechen wir den Arbeitsauftrag. Das Ziel ist, einen Werbeclip von 30 sek für ein frei wählbares oder erfundenes Produkt zu entwickeln. Im Clip muss ein Fenster als Lichtquelle und/oder als Handlungselement vorkommen. Die Gruppenbildung und das Notieren/Skizzieren von Plots geschieht als Hausaufgabe.
Der zweite Nachmittag beginnt mit einer Rekapitulation der gelernten filmischen Konventionen an einem Beispiel. Danach gebe ich eine Einführung ins Storyboard-Zeichnen. Dabei geht es besonders darum, wie sie eine «geschriebene» Idee in «gesehene» Einstellungen und kohärente Sequenzen übersetzen können. Im Anschluss übersetzen die SuS ihre Szenen zu Einstellungen. Mit Bleistift entwickeln sie auf A6-Karten ihre Ideen und den Plot weiter (Handlung, Einstellung, Charaktere, Zeit, Dreh-Ort, Schnitt).
Der Input zu Sound dreht sich besonders um die suggestiven und emotionalen Möglichkeiten, wie Ton eingesetzt und geschnitten werden kann. Für die Dauer der Aufnahme-Tage bekommen die SuS ausser der Kamera einen tragbaren Sound-Recorder (Zoom H4n). Sie sind aufgefordert, die Kameraaufnahmen durch sorgfältig gesuchte Geräusche zu ergänzen. Der Licht-Input sensibilisiert die SuS besonders für die einfachen Möglichkeiten, natürliches Licht modellierend und atmosphärisch einzusetzen. Die Vorgabe, dass ein Fenster im Clip vorkommen muss, lässt viele Verbindungen zur Kunstgeschichte zu. Um Bezüge zum Barock herzustellen, gehe ich besonders auf die Verwendung von Streiflicht ein. Mit dem neu Gelernten im Hinterkopf machen sich die SuS zurück ans Storyboard, um mögliche Anwendungen einfliessen zu lassen.
Jetzt erhalten die SuS Kamera, Stativ und Zoom sowie meine Manuals. Um sie beim Planen des Drehs zu unterstützen (und auf weitere Möglichkeiten aufmerksam zu machen), bekommen sie eine Checkliste für Material, Schauspieler, Requisiten, etc. Die SuS sollen als Hausaufgabe das Storyboard so weit ausarbeiten, dass es ihnen am Drehtag als detaillierter, durchdachter Leitfaden dienen kann.
Am dritten Nachmittag arbeiten die Gruppen selbständig an ihren Bild- und Ton-Aufnahmen. Ich bin bei allfälligen Fragen oder Problemen im Fachschaftszimmer und erreichbar (niemand scheint Bedarf zu haben).
Am vierten Nachmittag stehen den SuS nach einer rudimentären Einführung in iMovie zwei Lektionen zur Verfügung, um die Aufnahmen zu importieren und den Rohschnitt zu machen. Ich bespreche die Probleme und Chancen der Projekte mit den Gruppen und kläre, ob Einstellungen oder Ton nachgedreht werden muss. Den Feinschnitt machen die SuS als Hausaufgabe.
Am fünften Nachmittag steht eine Stunde für die Schlusspräsentation zur Verfügung. Jede Gruppe präsentiert ihr Video. Danach rege ich kurze Gespräche über die Clips an und gebe Feedback zu Storytelling, Einstellungen, Frage-Antwort-Spiel, Schnitt Bild/Ton, Licht und Ton. Es ist allen Filmen anzumerken, dass die SuS mit Freude bei der Arbeit waren, und sie sind stolz auf das Geleistete.
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Beurteilung
Die Beurteilungskriterien erkläre ich am ersten Tag. Es sind:
Inhalt: Einfachheit der Idee, Eigenständigkeit der Idee, Klarheit der Botschaft, Verständlichkeit der Handlung
Form: Einsatz von Einstellung, Schnitt und Sound zur Dramatisierung des Plots, Bildqualität/Licht
Prozess: Entwicklung, Intensität, Zeit-/Ressourcenplanung, Dialogfähigkeit
Umsetzung: Gesamtwirkung, Kohärenz zwischen Inhalt und Form
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Kunstgeschichte: Inszenierung
Der vorgegebene Stoff umfasst die Malerei von Mittelalter, Renaissance, Barock und Rokoko. Die SuS zeigen sich sehr interessiert an der Kunstgeschichte. Wohl nicht zuletzt, weil diese Teil ihrer Maturaprüfung sein wird. Die Prüfung wird aus Bildbeschreibung, formaler Analyse und interpretierender Deutung bestehen. Darum achte ich bei der Vermittlung der Kunstgeschichte besonders darauf, dass die Annäherung an die Bilder primär über die Wahrnehmung geschieht. Ins Zentrum der Vermittlung stelle ich deshalb das Untersuchen und Vergleichen von Bildern an einer chronologisch geordneten Bilderwand. Die Idee für die Bilderwand habe ich Hockneys «The Great Wall» entnommen. Für meine Wand habe ich 200 Postkarten von 37 der bedeutendsten Maler zusammengestellt. Die Maler ordne ich in chronologischer Reihenfolge nach ihrer Geburt an. Auf eine klare Trennung der Epochen verzichte ich bewusst. Neben dem Unterricht müssen die SuS pro Woche 10 Seiten im von der Fachschaft vorgegebenen Schulbuch «Geschichte der Malerei» lesen. Anhand von Fragebögen, die ich ihnen nach der Lektüre zur Verfügung stelle, testen sie selbständig, wie ihnen das Gelesene in Erinnerung geblieben ist. Über Bezüge zum Videoprojekt und dem Thema (Inszenierung einer Geschichte) unterstreiche ich wie unterschiedlich wiederkehrende Motive in den verschiedenen Epochen inszeniert werden. Die (Hinter-)Gründe dafür vermittle ich in zwei Inputs.
In einer ersten Annäherung untersuchen die SuS am vierten Nachmittag die Bilder nach wiederkehrenden Merkmalen und diskutieren ihre Funde in Zweiergruppen. Als Indikatoren wähle ich: Abgebildete Motive und Themen, Mittel zur Darstellung von Raum, Hintergrund bzw. Figur-Hintergrund-Beziehung, Licht / Farbe / Kontrast, Nähe zu bzw. Abweichung von einer fotorealistischen Darstellung und Mode. Sie stellen ihre Beobachtungen zusammen und zeigen bzw. erklären sie der Klasse.
In einer zweiten Kurzübung am selben Nachmittag bekommen die SuS Bilder aus dem Mittelalter, die unterschiedlichen Themen zeigen (Gruppenbild, Jesus am Kreuz, Architektur im Bild, Landschaft, etc.). Zu diesem wählen sie selbst eine passende Postkarte aus der Renaissance von der Wand aus. In einer zeichnerischen Übung untersuchen sie mit Kreide beide Bilder an die Wandtafel. Wir besprechen, was ihnen beim Zeichnen an den unterschiedlichen Darstellungen aufgefallen ist.
Am fünften Nachmittag können sich die SuS in einer weiteren Kurzübung eine Postkarte aus Barock oder Rokoko wählen, um den Einsatz des Lichts im Gemälde zu studieren. Dazu zeichnen sie wieder mit Kreide auf die Wandtafel, aber diesmal sollen sie mit der Kreide bewusst nur das Licht zeichnen. Im Anschluss beprechen wir wieder ihre Erkenntnisse.
Im Wechsel mit den Übungen verknüpfe ich in zwei Inputs die Entwicklungen in der Malerei mit den Umständen und den zwei grossen Umbrüchen der ca. 800 Jahr-Spanne – einmal der Zäsur zwischen Mittelalter und Renaissance/Neuzeit, danach dem Übergang zum Barock. Dabei konzentriere ich mich auf die Umbrüche in Wissenschaft, Religion, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Das Ziel ist, dass sie die Umstände an ihr Vorwissen knüpfen und mit dem Sichtbaren an der Bilderwand verbinden können, so dass ein greifbares Ganzes der Epochen entsteht. Als letzten Zwischenschritt machen wir einen kurzen Quiz, wo die SuS am Beamer gezeigte Bilder einer Epoche zuteilen und ihre Entscheidung begründen.
Als Letztes gehen wir wieder zurück zur Bilderwand. Die SuS studieren in Zweiergruppen mit ihren Notizen vom vierten Tag und den neu erworbenen Kenntnissen nochmals die Entwicklungen darauf. Sie versuchen festzulegen, wo auf der Bilderwand die Grenzen zwischen den Stilen gezogen werden müssten und begründen ihre Entscheidung. Bei der Grenze zwischen Mittelalter und Renaissance ist man sich einig. Die Grenze zwischen Renaissance und Barock wird aber führt zu einer heissen und interessanten Diskussion.
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Reflexion
Kunstgeschichte und Videoprojekt über den Fokus auf die Techniken der Inszenierung, ihre Wirkung und Wahrnehmung miteinander zu verknüpfen war sinnvoll und spannend. Es ermöglicht den SchülerInnen, dieses Thema in einem weiteren Rahmen zu sehen und sich theoretisch und praktisch mit ihm auseinanderzusetzen. Die Klassengrösse von 14 SuS ermöglichte jeweils knapp mehrere Besprechungen pro Gruppe pro Nachmittag, was bei dem dichten Zeitplan nötig war. Das wäre aber bei einer Klassengrösse von 24 so nicht mehr machbar gewesen. Da müsste ich Besprechungen, Präsentationen usw. anders organisieren. Ich muss einen besseren Umgang bei den Besprechungen entwickeln, wie ich den SuS das Spektrum von Optionen und Varianten aufzeigen kann, ohne ihnen konkrete Ideen oder Vorschläge zu machen. Ich will den SuS detailliertes Feedback für ihre aufwändigen Arbeiten geben, die relativ ausführlichen, schriftlichen Benotungen/Kommentare sprengen aber den Rahmen. Ich nehme mir für mein nächstes Praktikum vor, weniger Beurteilungskriterien zu formulieren und dafür feinere Noten-Abstufungen zu machen. Ablauf und Aufgaben sind gelungen, obwohl sich der Start der Kunstgeschichte wegen einer Doppelbuchung unerwartet verschoben hat. Inhalte und Methoden schienen für das Alter der SuS stimulierend zu sein. Wenn mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte, wäre es motivierend gewesen, Zeit für mehr inhaltliche Tiefe zu nehmen und die Ideen- und Entwicklungsphase zu verlängern. Die aufwändigen Vorbereitungen fürs Praktikum und die Arbeit mit den SuS haben mir von Anfang bis Schluss Spass gemacht, und ich freue mich auf die Herausforderungen meines nächsten Praktikums.