– Inszenierte Fotografie an der Grenze von Fiktion und Wirklichkeit –
Was sind die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen? Welche Organisation, die es noch gar nicht gibt, könnte einen Teil dazu beitragen, diese Herausforderungen anzugehen?
Schüler*innen von von zwei dritten Oberstufen Klassen inszenierten je drei Fotografien aus dem «Alltag» oder während einer «besonderen Handlung» einer von ihnen selbstgegründeten fiktiven Organisation. Ihre Organisationen sollten eine Veränderung eines von ihnen selber gewählten Macht- oder Herrschaftsverhältnisses bewirken. Beim Fotografieren achteten sie besonders auf die Komposition, die Lichtsetzung, Perspektiven und Einstellungsgrössen der Bilder und schrieben zudem zu ihrer letzten Bildauswahl eine Bildunterschrift, welche die Wirkung der Bilder nochmals verstärkte.
Inhalt: Sach- und Begründungsanalyse
Macht und Bilder – Im Monat vor Beginn des Unterrichts gingen die ersten Fotos von dem monatelangen Freitag-Schulstreik von Greta Thunberg um die Welt. Die Bilder, wie sie als damals noch 15-jähriges Mädchen jeden Freitag vor dem Schwedischen Parlament sass, lösten in der Schweiz und weltweit die grössten Jugendproteste seit den 80er Jahren aus.
Mich interessierte, wie eine einfache Handlung, aufgeladen mit einer Botschaft, welche an den bestehenden (Macht-)Verhältnissen rüttelt in medialen Bildern festgehalten wird und dadurch ihre Wirkung entfalten kann. Mit den SuS wollte ich in diesem Unterrichtsprojekt versuchen ebensolche Bilder selbst zu entwickeln.
Bilder prägen unser individuelles aber auch kollektives Gedächtnis. Sie können bestehende Machstrukturen bestätigen und damit stärken, aber auch verändern und dadurch das Machtverhältnis verschieben. Bilder repräsentieren damit nicht nur, sondern sie greifen ins Geschehen ein.
Das ist zur Zeit auch in der zeitgenössischen Kunst angesagt. Kunstschaffende gingen und gehen darüber hinaus die Welt nur zu spiegeln und verwischen Fiktion und Wirklichkeit. Bekannte Grössen sind das Zentrum für Politische Schönheit, das Peng! Kollektiv, Milo Rau, The Yes Men, WochenKlausur, DIS, Hito Steyerl, Christoph Schlingensief, Joseph Beuys, etc.
Ablauf
Die SuS starteten ihr Unterrichtsprojekt indem sie für sich eine Problemlage definierten und eine fiktive Organisation/Bewegung erfanden, welche einen Teil zur Lösung beträgt. Sie entwarfen Alltagshandlungen ihrer Organisation und setzten diese fotografisch in Szene. Regelmässige Updates aus der entstehenden Klima-Bewegung lockerten den Unterricht auf. In unterschiedliche Theorieinputs und in der anschliessenden praktischen Umsetzung erarbeiteten sie sich die Themen Komposition, Lichtsetzung, Einstellungsgrösse, Perspektiven, dynamische Symmetrie und Text zum Bild. Z. B. war eine Übung eine Handlung ihrer Organisation mit unterschiedlicher Lichtsetzung zu inszenieren. In Arbeitsgesprächen und Präsentationen im Plenum untersuchte dann die Klasse Qualitäten ihrer Bilder, sortierte aus und entwickelte Gelungenes weiter. Die Gruppen wählten schlussendlich ein Hauptbild und zwei Nebenbilder aus, die gross ausgedruckt in der letzten Lektion ausgestellt, besprochen und bewertet wurden.
Beurteilung
Die Bewertungskriterien wurden schriftlich und mündlich erläutert. Zu den Prozess- und Inhaltskriterien verfassten die SuS kurze Texte und gaben Prozessskizzen ab.
1. Formales & 2. Umsetzung: Komposition, Lichtsetzung & Text
3. Inhalt: Einen wunden Punkt getroffen, Machstrukturen in Frage gestellt, ausgeklügelter Organisationsname
4. Prozess: Entwurfserien, Experimentierfreude, Entwicklungsprozess
Reflexion
Die „Gründung“ von fiktiven Organisationen motivierte die SuS ihr Projekt zu starten. Sie schätzten es mit professioneller Lichttechnik zu arbeiten und auszuprobieren. Eindrücklich für die SuS war der Gegenwartsbezug. Die Theorie wurde ständig mit aktuellstem Bildmaterial aus den Medien aufgearbeitet und die Neuigkeiten und deren Inszenierung diskutiert.
Im Gesamten gingen die Theorieinputs eher in die Tiefe, teils in die Breite und die Zeit für die Umsetzung und Besprechungen der Arbeiten wurde dadurch knapp. Die Inputs könnten kürzer gefasst und stärker in Arbeitsbesprechungen eingebunden werden.
Bei den Arbeitsbesprechungen lohnt es sich die vielen Bildskizzen ausgedruckt zu haben. Eine gut gebündelte Prozessdokumentation in einem Arbeitsheft würde zudem die grosse eigene Entwicklung den SuS noch stärker vor Augen führen.
Die Thematik ist vielschichtig sowohl im Inhalt auch in den Techniken. Sie hätte das Potenzial mit weiteren Techniken, wie Plakatgestaltung, Typografie, Animation, Video, Audio bearbeitet werden zu können. Weiter wäre es eine gute Ausgangslage mit der Thematik auch fächerübergreifend (Geschichte, Philosophie, Deutsch, Ethik) zu arbeiten und dadurch noch tiefere Inhaltliche Diskussionen anzuregen.