Abstract
Wir sind umgeben von einer digitalen Welt. Unsere Kommunikation ist digital, wir bezahlen digital, wir bestellen unser Essen digital und finden unsere Liebe digital. Unser digitaler Alltag verändert auch unsere haptischen Fähigkeiten. Wir gestalten digital und unsere Umwelt ist zu einem grossen Teil künstlich hergestellt. Wie fühlen sich solche künstlich hergestellten Strukturen an? Erzählen sie eine ähnliche Geschichte, wie jene die wir erfahren, wenn wir mit unseren Fingern über ein Blatt streichen? Sind sie uns vertraut oder fremd? Warm oder kalt? Grob oder fein?
Ablauf
Über fünf Stationen wird eine gestalterische Reise gemacht, welche bei der Natur beginnt, abstrahiert und ins Räumliche übersetzt wird, dann ins Digitale überläuft und schliesslich (wieder) auf dem «Blatt» landet.
Der Anfang macht eine Objektstudie eines Naturgegenstandes (Blatt, Tannenzapfen, Rinde, usw.). Es macht Sinn diese Gegenstände sammeln zu lassen, sie können allerdings auch der Zeit wegen mitgebracht werden. Diese Aufgabe dient einer Beobachtungsschärfung. Es lohnt sich (vorallem in Hinsicht auf die folgende Aufgabe), das Objekt aus mehreren Perspektiven zu zeichnen. Die zweite Station ist die Suche nach einer persönliche Struktur anhand eines Ton-Reliefs auf Basis der Objektstudie. Das Relief soll durch eine Inspiration aus dem eigenen Umfeld (künstliche Oberfläche aus dem Alltag) einen gewissen persönlichen Charakter erhalten. Gleichzeitig wird sie durch eine Abstraktion in eine Mikrolandschaft verwandelt, die eine neue eigene Struktur besitzt (Stichwort: Muster, Wiederholung). Die Struktur ist gekennzeichnet durch die Verschmelzung von natürlichen und künstlichen Referenzpunkten. Die inhaltliche Entwicklung von Natürlichem zu Künstlichem soll in diesem Projektteil zusätzlich verdeutlich werden, indem zunächst nur mit den Händen gearbeitet wird und nach und nach Werkzeuge hinzugezogen werden, bis die «Handarbeit» nicht mehr sichtbar ist. Die Struktur wird anschliessend fotografiert und in einem Layout im Indesign weiterentwickelt (Gestaltungsmittel: Papierformat, Komposition, Reihenfolge, Bildgrösse, Bildanzahl pro Seite). Die Reise endet wieder beim Blatt, indem das Layout ausgedruckt wird und das gesamte gestalterische Projekt (je nach Situation inklusive Zeichnung, Plastik und Dokumentation) den Mitschülern präsentiert wird.
Sach- und Begründungsanalyse
Stufe: Langzeitgymnasium 3. Klasse Schwerpunktfach BG
Der Lehrplan der Kantonsschule Zug setzt für das Schwerpunktfach Bildnerisches Gestalten im Fachbereich Plastisches Gestalten lediglich zwei Punkte voraus: 1. die Unterscheidung zwischen aufbauendem und abbauendem Verfahren 2. die Merkmale einer Vollplastik, eines Reliefs und einer Konstruktion Da dieser Lehrplan nur technische Ziele voraussieht, oblag die Entwicklung eines Inhalts dem Praktikanten und es bot sich entsprechenden Freiraum diesbezüglich an.
In Absprache mit der Praxislehrperson wurde das Projekt auf zeichnerischen Naturstudien basiert, welche in ein Relief übersetzt wurden. In einem zweiten Schritt versuchte man eine Verbindung zum Alltag der SuS herzustellen. Vom Medium (Relief) aus gedacht, stellt sich die Frage nach gestalteten und vorallem künstlichen Oberflächen in unserem Umfeld. Gleichzeitig stellt die Aufgabe die Anforderung und Herausforderung, dass man sich intensiv auf die Haptik als Gestaltungssinn konzentriert. Dieser Fokus lehnt auch an auf ein übergeordnetes Lernverständnis im Bildnerischen Gestalten im Sinne einer Wahrnehmungsöffnung und der Betrachtung eines Gegenstands aus mehreren Perspektiven. Gerade in unserem digitalen Zeitalter mit Smartphone & Co. ist es wichtig, dass der Mensch sich immer wieder um einen Ausgleich der Sinne bemüht. Vorallem dem Sehen wird im Bildnerischen Gestalten meist eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt und andere Gestaltungssinne kommen so oft zu kurz.
Das zweite Thema nebst der Strukturwahrnehmung war die Transformation. In fast sämtlichen Gestaltungsbereichen wird mittlerweile eine gewisse Flexibilität im Bezug auf den Wechsel zwischen den Medien verlangt. Gleichzeit soll der Kern einer Arbeit stets ersichtlich bleiben. Der Bogen vom Zweidimensionalen über das Dreidimensionale zurück zum Zweidimensionalen simuliert eine solche Erfahrung. Die SuS erhalten einen Eindruck, was es heisst, innert kürzester Zeit einen Inhalt auf eine andere Technik zu übertragen, dessen Eigenheiten gerecht zu werden und im ganzen Transformationsprozess eine Entwicklung zu machen und das ganze ohne sich selber fremd zu werden. Das Projekt ist eine grosse Herausforderung für die SuS und ist bewusst für eine interessierte Schwerpunktfachklasse gedacht. Die einzelnen Projektteile sollten je nach Arbeitstempo verlängert werden. Durch einen grossen Praxisanteil ist es gut möglich, das Projekt über eine längere Zeit zu machen. In diesem konkreten Beispiel hatte die Klasse noch keine Erfahrung mit räumlichen Gestaltungstechniken und die digitale Arbeit war ebenfalls erst teils vertraut. Entsprechend waren die technischen Rahmenbedingungen verhältnismässig klar vorgegeben, um das Projekt in diesem Rahmen umsetzen zu können.
Beurteilung
Die Bewertung setzt sich aus vier Teilen zusammen: drei Produkten (Zeichnung, Plastik, Layout) und dem Prozess (Dokumentation). Wahlweise kann die Zeichnung in der Bewertung auch weggelassen werden, da sie als Übung angesehen werden kann und in dem Sinne erst die Bedingung für das Erbringen einer Leistung schafft und insofern nicht als Leistungsprodukt angesehen werden sollte. Innerhalb der Teilbenotung wird unterschieden zwischen Inhalt (Erfüllung des Themas, Tiefe der persönlichen Auseinandersetzung), Form (Ausnutzen der gestalterischen Mittel, Abstraktionsgrad, Einhalten der formalen Vorgaben), Technik (Berücksichtigung der Materialeigenschaften, Beherrschen der Werkzeuge, technische Mängel) und bei der Dokumentation der Prozess (Vollständigkeit, Verständlichkeit, Vielfalt der Lösungswege, sichtbare Entwicklung, bewusste Entscheidungsfindung).
Reflexion
Eine Herausforderung war sicherlich der künstliche Praktikums-Rahmen von acht Doppellektionen (welcher bei diesem Projekt auf neun Doppellektionen ausgeweitet wurde). Das Gefäss wäre in einer «realen» Unterrichtssituation entsprechend ausgeweitet worden. Die räumliche Arbeit ist im Bildnerischen Gestalten eher eine Seltenheit und somit muss in der Vorbereitung eine gewisse Sensibilisierung auf Seiten der Lehrperson stattfinden (falls nicht schon vorhanden). Es lohnt sich sehr das ganze Projekt im Vorhinein selbst einmal durchzuspielen. Im Übrigen ist räumliche Arbeit auch auf Seiten der SuS nicht immer gleich beliebt; es lohnt sich auch hier eine gewisse Vielfalt in den didaktischen Methoden mitzubringen und je nach Extremfall einen gewissen Spielraum offen zu lassen. Die Reise durch verschiedene Medien stiess grösstenteils auf Anklang und sollt meiner Meinung nach öfter zur Anwendung kommen (als Gegensatz zu «technisch-isolierten» Übungsaufgaben).