ABSTRACT
Die Schüler*innen (1. Klasse, Gymnasium: Kantonsschule Alpenquai Luzern) erkundeten mit diversen Wahrnehmungs-Experimenten ihren eigenen Körper, sowie gegenständliche Körper und Räumlichkeiten. Sie interpretierten ihre Wahrnehmungen in Zeichnungen und schrieben zu ihren gemachten Erfahrungen Texte. In einer zeichnerischen Hauptarbeit Raum-Illusion vertieften die SuS ihre Erkenntnisse der Wahrnehmungsübungen. Als Endprodukt banden die SuS ihre Hauptarbeit, die experimentellen Zeichnungen und Texte zu einem Buch zusammen.
SACH- & BEGRÜNDUNGSANALYSE
Das Projekt Körper und Raum enthält zwei Teilbereiche. Im ersten Teil (vier Doppellektionen) wurden die SuS dazu angeregt mit ihren Sinnen ihren eigenen Körper, sowie gegenständliche Körper und Räumlichkeiten zu spüren und zu erforschen: Die SuS nahmen ihren eigenen Körper in Zwischenräumen wahr (inspiriert von: Bodies in urban space, 2014 – Willi Dorner: www.ciewdorner.at). Des Weiteren fokussierten sie sich in der Zeichnung auf negativ Räume, führten Blindzeichnungen aus oder zeichneten über ihrem Tastsinn (inspiriert von: garantiert zeichnen lernen, 2012 – Betty Edwards). Ferner erkundeten sie räumliche Oberflächen und hielten diese mittels der Frottage fest (inspiriert von: Max Ernst Frottage-Arbeiten). Sie kreierten 2D und 3D Körper mit dem Surrealismus-Spiel Cadavre Exquis oder dem Material Plastilin. Diese spielerische Erfahrungen dokumentierten die SuS fotografisch und oder hielten sie schriftlich fest.
Im zweiten Teil des Projektes Körper und Raum wurden die Dokumentationen und gewonnenen Erkenntnisse der experimentellen Wahrnehmungsarbeiten, in eine zeichnerische Hauptarbeit Raum-Illusion zusammengeführt. Diese enthält eine räumliche und körperliche Illusion (inspiriert von: Compressions, 2019 – Milo: www.milo-project.com). Abschliessend wurden die Prozessarbeiten und die Hauptarbeit zu einem Buch zusammengebunden (inspiriert von: Helen Colebrook Buchbindung: www.journalwithpurpose.co.uk).
Mit meinem Projekt hatte ich die Absicht die Gewohnheiten und Strukturen der SuS mittels Wahrnehmungs-Experimente zu durchbrechen. Meine Intention war es mit dieser spielerischen Herangehensweise und den anschliessenden schriftlichen Reflektionen, die SuS eine neue Perspektive für ihren eigenen Körper und ihre Umgebung entdecken zu lassen. Dabei starten die SuS in diesem Projekt mit sich selber, mit ihrem eigenen Körper. Anschliessend setzen sie ihren Körper in Bezug zur Umgebung.
Das gebundene Buch als Output dieses Projektes zeigt den SuS den Wert ihres eigenen Prozesses auf.
LERNZIELE & BEURTEILUNGSKRITERIEN
Das Lernziel in den experimentellen Lektionen der SuS ist, den Raum über unterschiedliche Zugänge bewusst wahrzunehmen und Körper in ihrer räumlichen Dimension zu begreifen. In der Prozessbuchgestaltung ist das Lernziel das Beschreiben und Skizzieren ihrer Eindrücke und Erfahrungen. In ihrer zeichnerischen Hauptarbeit Raum-Illusion lernen die SuS 3D Körper auf eine 2D Ebene zu interpretieren. Die Interpretation wird nach einer möglichst plastischen Wirkung beurteilt, welche mit Hell/Dunkel Kontraste und formgebenden Linien zum Ausdruck gebracht werden. Ein weiteres Kriterium für die Hauptarbeit ist die Proportionalität, welche 1 zu 1 im Verhältnis zur abgezeichneten Körperform steht.
Kriterien Hauptarbeit Raum-Illusion
ABLAUF
- Doppellektion – Körper im Raum
In der ersten Doppellektion führte ich die SuS in das Thema Körper und Raum mit Beispielen von Willi Dorner ein. Sie fingen damit an, sich mit ihrem eigenen Körper im Raum auseinanderzusetzen. Sie erforschten das Schulzimmer mit geschlossenen Augen oder krochen auf dem Boden, um eine neue Perspektive einzunehmen. Des Weiteren suchten sie einerseits Zwischenräume am eigenen Körper, im Schulzimmer sowie Zwischenräume auf dem Schulgelände in denen ihr ganzer Köperreinpasst. Die Erfahrung wurde fotografisch und schriftlich festgehalten. Die Fotografien wurden für die spätere Hauptarbeit Raum-Illusion weitergenutzt (Doppellektion 5. & 6.).
Bildquelle: www.ciewdorner.at
2. Doppellektion – Blind- & Tastsinnzeichnung
Tastsinnzeichnung Blindzeichnung ohne Einschränkung
In der zweiten Doppellektion interpretierten die SuS mit spielerischen Übungen 3D Körper auf 2D Ebenen. Dafür gab ich zuerst einen Input über die Linienarten; Kontur, Binnenlinie und formgebende Linie. Nun formten sie blind einen Plastilinkörper. Anschliessend ertasteten sie ihn ohne hinzuschauen und zeichnen die Konturlinie des Körpers nach ihrer Vorstellung. Als nächstes durften sie den Körper anschauen und zeichneten dessen Konturlinie sowie Binnenlinien ab, ohne auf das Blatt schauen zu dürfen. Bei der letzten Übung durften sie sowohl Körper wie auch Blatt anschauen. In dieser versuchten sie den Körper mit der Konturlinie, Binnenlinie und formgebenden Linie abzuzeichnen, um eine möglichst plastische Wirkung zu erzielen. Die SuS hielten anschliessend ihre Erfahrungen schriftlich fest.
3. Doppellektion – Negativräume
In der dritten Doppellektion führte ich die SuS in die Theorie der Negativräume ein, inspiriert nach Betty Edwards Theorie. Anschliessend bauten sie sich aus drei selbstgewählten Gegenständen einen Turm vor einem weissen Papphintergrund. Ziel war es, nun nicht die Gegenstände selber abzuzeichnen sondern den Hintergrund, sowie die Zwischenräume, um die Wahrnehmung für den Negativraum zu stärken.
Bildquelle: Edwards, B. (2012). garantiert zeichnen lernen. Leck, Deutschland: CPI – Clausen & Bosse.
4. Doppellektion – Frottage & Cadavre Exquis
In der vierten Doppellektion nahmen die SuS den Raum primär durch ihren Tastsinn wahr. Sie erkundeten Oberflächen mit ihren Händen. Folgend stellte ich ihnen den Künstler Max Ernst und seine Arbeiten vor, bevor sie selbst starteten Frottagen zu sammeln. In diesen entdeckten sie die Abdrücke der Oberflächen auf dem Papier.
Mittels der Technik Cadavre Exquis zeichneten sie in der Gruppe eine 2D Körperform. Diese befüllten sie mit Frottage. Aus ihren Zeichnungen entstanden bunte Fabelwesen.
Bildquelle: www.staatsgalerie.de
5. & 6. Doppellektion – Hauptarbeit Raum-Illusion
In der fünften und sechsten Doppellektion wurde an der zeichnerischen Hauptarbeit der Raum-Ilusion gearbeitet. Ich erklärte die Aufgabe und die Bewertungskriterien dazu.
In dieser Arbeit brauchten die SuS ihre Fotografien der ersten Doppellektion. Sie schnitten eine Figur aus dem Foto aus. Nun modellierten sie mit Plastilin eine Plastik, welche auf die Körperhaltung der Figur Bezug nimmt. Die Figur wurde in diese Plastik gesetzt. Anschliessend wurde eine Fotokopie der Figur auf ein Zeichenblatt geklebt. Die SuS zeichneten nun die Plastik um die Fotokopie. Dabei übernahmen sie dieselben Proportionen der Plastilin Plastik für ihre Zeichnung. Sie erzeugten eine möglichst plastische Wirkung mittels formgebender Linien und Hell-Dunkel-Kontrasten. Abschliessend reflektierten die SuS schriftlich und mündlich über ihre Arbeit. Ihre Werke wurden in einer Vitrine der Kantonsschule Alpenquai ausgestellt.
Bildquelle: www.milo-project.com
7. Dopellektion – Titelblatt Collage
In der siebten Doppellektion gestalteten die SuS sehr frei und experimentell das Titelblatt für ihr Prozessbuch. Dabei erhielten sie eine Fotokopie von ihrer zeichnerischen Hauptarbeit Raum-Ilusion. Sie erarbeiteten um die Zeichnungskopie eine Frottage-Welt. Zudem sammelten sie aus Zeitschriften Buchstaben und schrieben damit den Titel sowie ihren Namen auf das Titelblatt.
8. Doppellektion – Prozessbuches binden
In der achten Doppellektion wurden alle gemachten Notizen, Arbeitsblätter sowie Zeichnungen zu einem Prozessbuch zusammengebunden. Diese wurden im Schulzimmer ausgelegt und gegenseitig betrachtet.
REFLEXION
Die Zeit mit den SuS habe ich sehr lehrreich und motivierend erlebt.
Die experimentellen Übungen gaben den SuS die Möglichkeit neue Perspektiven auf den alltäglichen Raum und Körper zu erlangen. Sie konnten innerhalb der Aufgaben selbst Entscheidungen treffen und oft ihren eigenen Körper in Bewegung bringen, sowie auch ausserhalb der Schulräumlichkeiten arbeiten. Die spielerische Herangehensweise und Autonomiefreiheit wurde von den SuS sehr geschätzt und wirkte motivierend. Bei der Reflektion über die Übungen haben sich immer viele SuS gemeldet und erstaunlich ehrliche Antworten gegeben, was für sie funktioniert hat oder (noch) nicht funktioniert. Ich denke das vorherige Reflektieren im Tandem oder alleine hat den SuS Mut gegeben sich im Plenum ehrlich zu äussern, sodass wir von allen gegenseitig lernen konnten.
Da die experimentellen Übungen eher kurz und viele waren, empfand ich es sehr wirkungsvoll später an einer längerfristigen Hauptaufgabe (Raum-Illusion) zu arbeiten. In dieser gab es die Möglichkeit für die SuS ihre Erkenntnisse aus den Übungen zu vertiefen. Erfreulicherweise konnten einige SuS darin ihren Lernschritt deutlich erkennen. Für einzelne war die Hauptarbeit nicht gleich motivierend wie die spielerischen Aufgaben und hatten eher Mühe eigenständig daran zu arbeiten. Da half es, als ich ihnen ganz konkrete Anweisungen für ihren persönlichen nächsten Schritt gab.
Innerhalb der Lektionen habe ich im Verlauf des Praktikums vieles dazu gelernt, wie ich meine Unterrichtsgestaltung ausfeilen kann. Beispielsweise habe ich für einige Lektionen zu viel Inhalt und Übungen geplant, welche zeitlich nicht alle reingepasst haben. Zukünftig würde ich weniger Übungen planen und die SuS noch mehr in Arbeiten vertiefen lassen wollen. Ausserdem brauchten die SuS viel mehr Zeit für die Aufgaben, als ich erwartet habe. Vor allem hatte ich die Zeit für die Zwischenschritte der SuS (Material abholen, Aufbau und Aufräumen) verschätzt und lernte dies fortlaufend möglichst effizient zu gestalten.
Die SuS haben mir rückgemeldet, dass der Aufbau der Lektionen für sie in sich sehr rund und sinnstiftend war. Mir persönlich ist jedoch aufgefallen, dass das Projekt mit sehr offenen experimentellen Aufgabenstellungen beginnt und mit einer eingeschränkten zeichnerischen Hauptarbeit endet. Zukünftig könnte die Hauptarbeit offener gestaltet werden, sodass die SuS individueller arbeiten können und variationsreichere Ergebnisse erzielen können . Denkbar wäre die Hauptarbeit im dreidimensionalen Rahmen zu belassen. Hierfür könnten die SuS die Plastilin-Figuren in einer 3D Collage integrieren oder sie in einer Umwelt inszenieren und fotografieren. Eine andere Variante wäre die zeichnerische Hauptarbeit zu behalten und sie mit dem Lernziel der Farbenlehre zu verknüpfen. Hierfür würde ich die zeichnerische Arbeit beispielsweise mit wasserlöslichen Buntstiften umsetzen.