Als ich zwischen den Vorträgen der 2-tägigen Tagung zum Thema narrations of the Beginnings of Performance Art im Museum Tinguely durch das Archiv der Schweizer Performance Geschichte stöberte, bin ich auf zwei Arbeiten gestossen, die mich als Textildesignerin besonders interessieren: Einerseits ist es das Projekt Living Fabric der vor kurzem verstorbenen schweizer Künstlerin Nesa Gschwend. Es ist eine partizipative Langzeitperformance, in der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Alters zusammenkommen, um gemeinsam aus mitgebrachten, gebrauchten Textilien Teppiche sticken. Während dem Sticken erzählen sie sich Geschichten über die verarbeiteten Textilien und über das Leben. Die textile, gemeinschaftliche Arbeit wirkt verbindend.
Anderseits ist es das Projekt Das Häkelobjekt der Künstlerinnen Regula Michell und Meret Wanderel. Ebenfalls eine Langzeitperformance, treffen sich die beiden Frauen seit Mai 2004 einmal im Monat an einem anderen Ort und arbeiten zu zweit oder mit Gästen an einem rosa Häkelobjekt.
Auch in meiner eigenen künstlerischen Praxis interessiere ich mich für das kollaborative, textile Gestalten. Denn wie die Performance Künstlerinnen Nesa Gschwend, Regula Michell und Meret Wanderel sehe ich im gemeinschaftlichen textilen Wirken grosses Potential, verbindende Fäden zwischen unterschiedlichen Menschen zu ziehen. So sind letztes Semester während dem Projekt Soft Tales Kissen für das Master Forum entstanden (https://project-box-art-teaching.ch/soft-tales/=).
Bisher hatte ich ein anderes Bild der Performance Kunst und es war mir nicht bewusst, dass das gemeinschaftliche Ausüben einer textilen Technik zur Performance Kunst gezählt werden kann. Deswegen habe ich mich gefragt, was diese beiden Textilprojekte zu einer Performance machen. Darf man behaupten, dass das Ausüben eines textilen Handwerks an sich performativ ist? Welcher Zusammenhang haben Performance und textiles Handwerk?
Die erste Frage kann ich beantworten, indem ich mir nochmals die Bestandteile der Performance Kunst vor Augen führe: Zeit, Raum, Impuls, Material, Körper. Bei einer Performance findet stets eine Beziehung zwischen der kunstschaffenden und zuschauenden Person statt. Ausserdem ist eine Performance nicht selten eine offene, künstlerische Versuchsanordnung ohne Ablaufkonzept. Es gibt mittlerweile viele verschiedene performative Kunstformen. Verbindend ist vor allem, dass sie den menschlichen Körper ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Sei es, um das symbolische Potential körperlicher Handlungen zu verdeutlichen und zu nutzen (Joseph Beuys), um den Körper als Manifestation sozialer und kultureller Identität sowie gesellschaftlicher Macht erfahrbar zu machen (Vali Export), um das Verhältnis von Körpern, Sprache, Massenmedien und Räumen zu untersuchen (Jochen Gerz) oder die Grenzen des Körpers und dessen existenzielle Leistungsfähigkeit auszuloten (Abramovic und Ulay). (HSLU Fachdidaktik, 3.Semester, U3D-Unterrichtsprojekte, Simona Reber, 2021)
Ich denke, dass die textilen Performances auf ihre Art das symbolische Potential körperlicher Handlungen nutzen, um den Körper als Manifestation sozialer und kultureller Identität erfahrbar zu machen. Das Ausüben von textilem Handwerk ist kulturelle Identität, das Zusammenkommen und sich bei der Handarbeit Auszutauschen sind der sozialen Identität zuzuordnen. Ausserdem werden die textilen Aktionen zu Performances, weil die Künstlerinnen stets präsent sind und sich das Projekt zur künstlerischen Aufgabe, ja sogar zu einem sozialen und kulturellen Forschungsfeld gemacht haben.
Zu den anderen beiden Fragen finde ich gewisse interessante Anknüpfungspunkte und Antworten in den Vorträgen von Dr. Prof. Hanna Barbara Hölling und ihrem Team (Forschungsgruppe des SNF Performance Projekt der HKB) die hauptsächlich zum Thema „What is performance: conservation, materiality, knowledge“ forschen. Das Projekt basiert auf der Bedingung, dass Performance Kunst konserviert werden können muss. Denn Performance-Kunstwerke sind flüchtig und auf den Körper als Medium angewiesen. Diese Tatsache stellt die Annahme in Frage, dass ein Kunstwerk unbeweglich, statisch und konservierbar sein muss. Performance sei also eine Kunstform, die sich leicht durch etablierte Systeme der Dokumentation und Archivierung einschränken lässt. Darüber hinaus vernachlässige die traditionelle Konservierung allzu oft die immateriellen Aspekte der Vermittlung von Kulturgütern, die für die Bewahrung der Performance notwendig sind: die Weitergabe von Erinnerungen, Fähigkeiten, Techniken und stillschweigendem Wissen.
Das Wissen über textile Techniken und Fertigkeiten gehört, wie die Performance Kunst, zu den immateriellen Kulturgütern und die Frage des Bewahrens ist eine ähnlich schwierige. Wie oft habe ich schon hin und her überlegt, ob es wichtig ist, textile Techniken zu bewahren oder ob es nicht schlichtweg zu einer Kultur gehört, wenn gewisse Dinge verschwinden, sich alte Techniken weiterentwickeln, respektive von industriellen Maschinen übernommen werden. Ein bisschen nostalgisch werde ich bei diesem Gedanken schon, denn in unserer heutigen digitalisierten Welt finde ich es umso wichtiger, nebst den vielen digitalen Reizen auch die Hände gezielt für Handwerkliches einzusetzen. Textiles Handwerk ist wie die Performance Kunst flüchtig und kann nur dann gesehen werden, wenn sie ausgeübt wird. Meistens bringt textiles Handwerk ein Produkt oder etwas Praktisches (zum Beispiel ein Alltagsobjekt) hervor, was bei der Performancekunst sein kann aber kein Muss ist.
Im Text „Das immatrielle Kulturerbe als Metakulturelle Produktion“ bestätigt Kirshenblatt, dass immaterielles Kulturerbe, das oft auch als Folklore bezeichnet wird, im Allgemeinen performativ und mündlich geschaffen wird.
Interessant finde ich ausserdem, dass Kirschenblatt die Institution UNESCO Weltkulturerbe kritisiert, die nach gewissen Kriterien ausgewählten immateriellen Erben Anspruch auf den Status „schützenswert“ gibt, indem sie sie auf eine Liste setzen. Damit schaffen sie nicht nur ein äusserst exklusives Programm für einzelnes Kulturerbe; ein zusätzliches Problem stellt das auf einer Liste zu stehen an sich dar, was wiederum eher materiell und symbolhaft ist und die ausübende Person, sowie deren performative und subjektive Handlung ausklammert. Denn der einzelne Mensch ist nicht nur Träger und Übermittler von Kultur, sondern auch Handelnder innerhalb der Gesamtunternehmung Kulturerbe. Das immaterielle Erbe besteht aus kulturellen Erscheinungsformen wie Kenntnisse, Fertigkeiten und Performanz, die untrennbar an Personen gebunden sind. Während dem Ausüben einer Handlung wird ein Repertoire automatisch und performativ weitertradiert. (Kirshenblatt, 2012)
Beides, Performance und das textile Handwerk sind also fest an die ausübende Person gebunden, die auf ihre ganz subjektive Art Träger/in und Übermittler/in dieser Tradition ist.
Abschliessend kann ich sagen, textiles Handwerk auszuüben hat an sich etwas Performatives, jedoch kann man es noch nicht als Performance Kunst bezeichnen. Erst wenn die Handlung alle Bestandteile einer Performance beinhaltet, hat sie das Anrecht, eine Performance zu sein. Indem ich beispielsweise mit anderen Menschen gestalte, oder das Handwerk anstatt in meinem Atelier in der Öffentlichkeit ausübe, wird die Aktion zu einer Performance.
Quellen und weiterführende Links:
Archiv Museum Tinguely, Ausstellung Bang Bang, Translokale Performancegeschichte:n: https://www.tinguely.ch/de/bangbang.html, online August 2022.
Hölling, Dr. Prof. Hanna Barbara und ihr Team (Forschungsgruppe des SNF Performance Projekt der HKB): https://performanceconservationmaterialityknowledge.com, online August 2022.
Kirshenblatt-Gimblett, Barbara: Das immaterielle Kulturerbe als Metakulturelle Produktion. In: Hochschule Luzern – Design & Kunst No. 2, Oktober 2012, S. 9 – 15. Herausgeber: Peter Spillmann.
Schatz, Corinne: https://www.luzernerzeitung.ch/kultur/ostschweiz/verwoben-mit-dem-leben-ld.2308328, 27.06.2022.