Die Erstklässler*innen des Langzeitgymnasiums (Kantonsschule Alpenquai) beschäftigten sich während 8 Doppellektionen mit Pflanzen. Der Auftrag lautete, eine fantastische und neuartige Pflanze mit besonderen Eigenschaften zu erfinden. Zuerst untersuchten die Schüler*innen zeichnerisch Pflanzen aus ihrer nahen Umgebung, um dann aus deren Formenreichtum Neukombinationen von Blüten, Beeren, Stängel und Blätter zu entwickeln. In einem Steckbrief hielten sie das Aussehen, die Merkmale etc. der neuartigen Pflanze fest. Schlussendlich setzten die Schüler*innen ihre Idee Dreidimensional um – mit Zeitung, Klebeband und farbigem Papier. Es entstand ein Garten voller mysteriösen und unbekannten Pflanzen…
INHALT
Sachanalyse: Durch die Globalisierung sind die Regale im Supermarkt gefüllt mit exotischen Früchten. Pflanzliche Fleischersatzprodukte sind im Trend, Palmen und Farne dekorieren unsere Wohnungen. Die Vielfältigkeit der Pflanzenwelt fasziniert uns. Wir erkennen deren Formen wieder in unserer Architektur, Design und Kunst und in unserem Alltag. Umgekehrt greift der Mensch und die Wissenschaft ein in das Aussehen und in die Genetik der Pflanzen: blaue Rosen – was kommt als nächstes? Eine leuchtende Zimmerpflanze, die unsere Lampen ersetzt und dank der wir Energie sparen können? Im Unterricht gehen wir Fragen nach wie: Welches Verhältnis hat der Mensch zu Pflanzen? Was symbolisieren Pflanzen? Was bedeuten Pflanzen für die Schüler*innen? Welche Bedeutung haben Pflanzen in der Zukunft? Auch die Schüler*innen sollen neue Pflanzen entwickeln, die womöglich positive Fähigkeiten für die Zukunft haben (Mensch, Natur etc). Am Schluss des Unterrichtprojektes soll ein besonderer Garten entstehen mit neuartigen Pflanzen. Diese haben womöglich spezielle Fähigkeiten, die dem Menschen in der Zukunft nützlich sind (Heilpflanzen, Schlingpflanzen, leuchtende Pflanze, Fleischfressende etc.).
Lehrplan, Verankerung und Begründung: Die wissenschaftliche Entdeckungslust und Arbeitsweise sollte mit dem Erforschen von verschiedenen Pflanzen in der nahen Umgebung geweckt werden. Das Ziel dieses Unterrichtprojektes ist es, die Schüler*innen abzuholen in ihrer Lebenswelt, die hoffentlich noch stark von der eigenen Fantasie geprägt ist. Indem sie Pflanzen neu kreieren müssen, werden die Schülerinnen in ihrem Vorstellungsvermögen und in ihrer Wahrnehmung gefördert. Nebst dem Pflanzenthema nimmt auch die einfachen Bildbetrachtung eine wichtige Bedeutung ein während des Unterrichts. Es geht darum, dass die Erstklässler*innen des Langzeitgymnasiums lernen, ein Bild mit eigenen Worten zu beschreiben und ein Bild genau zu untersuchen auf Farbe, Formen, Inhalt etc. Auch das Formulieren eines Steckbriefes einer Pflanze und die dreidimensionale Umsetzung ist eine Form der einfachen Bildbetrachtung!
LERNZIELE UND BEURTEILUNGSKRITERIEN
Kompetenzorientierte Lernziele:
Die Schüler*innen lernen…
…verschiedene Merkmale von Pflanzen, wie Formen, Oberfläche, Farbe zu erschliessen und die für sie wichtigsten Erkenntnisse festzuhalten
…wesentliche Formen und Arten von Pflanzen neu zu kombinieren, so dass neue Pflanzen entstehen
…sich mit Werken der bildnerischen Darstellung auseinanderzusetzen
…zu verbalisieren, was man wahrnimmt, sieht und wie ein Bild aufgebaut ist (Vordergrund, Hintergrund, Motiv)
…herauszufinden, wie sie sich persönlich auf ein Bild einlassen können (Stimmung, Geschichte etc.)
…Förderung der Fantasie, Kreativität, Vorstellungsvermögen und Wahrnehmung
Beurteilungskriterien dreidimensionale Pflanze:
Erfindung: Fantasie und Ideenreichtum. Die Pflanze besitzt besondere Eigenschaften und überzeugt mit ihrer eigenständigen Art. Sie ist so noch nie gesehen worden.
Umsetzung: Die Ideen aus dem Steckbrief sind ersichtlich in der Pflanze, die Transformation von der Zeichnung ins Dreidimensionale ist erkennbar.
Gesamteindruck: Die Materialität unterstützt das Aussehen der Pflanze. Es wurde Rücksicht genommen auf eine achtsame und materialgerechte Verarbeitung. Die gewählte Grösse ist harmonisch, die Pflanze ist nicht zu klein und nicht zu gross. (ca. 40cm x 40cm)
ABLAUF
Doppellektion 1: Einstieg ins Thema / Vielfalt der Pflanzen unserer nahen Umgebung:
Ganz im Sinne von Dürrers «Das Grosse Rasenstück» (1505) sollten die SuS nach Draussen gehen, um der Wiese besondere Aufmerksamkeit zu schenken und um die verschiedenen Pflanzen zu betrachten. Die Aufgabe war es, mindestens drei Pflanzen zu pflücken, um sie im Schulzimmer mit dem Bleistift zu zeichnen. Dabei sollten die Lernenden auf die Formenvielfalt der Pflanzen sensibilisiert werden. Zum Schluss der Stunde bekamen die Schüler*innen den Auftrag, auf die nächste Doppelstunde zehn verschiedene Pflanzen mitzubringen. Um die Pflanzen haltbar zu machen, mussten sie diese Zuhause pressen.
Doppellektion 2: Eigenschaften von Pflanzen / Zeichnen mit Farbstift / Karl Blossfeld:
Als Einstieg sichteten wir die mitgebrachten Pflanzen im Plenum. Ausserdem mussten die Schüler*innen den gepressten Pflanzen Adjektive zuordnen wie: zackig, rund, stachelig, weich, gross, farbig, vielblättrig, geheimnisvoll, vertrocknet, saftig, klein, haarig, lang, kurz, giftig… etc. Die Schüler*innen hatten die ganze Doppellektion Zeit, ihre mitgebrachen Pflanzen mit Farbstift Zeichnen. Als Abschluss betrachteten wir die Pflanzenfotografien von Karl Blossfeld.
Doppellektion 3 und 4: Bildbetrachtung Henri Rousseau / Fantasiepflanzen / Steckbrief:
Nach einer Bildbetrachtung von Henri Rousseaus Junglebilder bekamen die Schüler*innen die Aufgabe, bis zur Pause so viele Fantasiepflanzen wie nur möglich zu zeichnen. Von diesem Sammelsurium ausgehend entwickelten sie eine Pflanze mit besonderen Eigenschaften und hielten ihre Erfindung anhand eines Steckbriefes fest.
Doppellektion 5, 6 und 7: Transformation ins Dreidimensionale / Umsetzung mit Zeitung, Klebeband und farbigem Papier:
Mit Zeitungspapier und Klebeband wagten sich die Schüler*innen in einem ersten Schritt an den Rohbau der dreidimensionalen Pflanze. Dabei arbeiteten sie Methoden heraus, wie die Pflanze von alleine stehen kann. Danach durften die Schüler*innen aus unterschiedlichem, farbigem Papier (Seiden-, Krepp- und Laternenpapier) die Details der Pflanze umsetzen.
Doppellektion 8: Fotografische Inszenierung / Notenrückgabe / Auswertung Unterricht:
Die Schüler*innen hatten während der letzten Stunde Zeit, ihre Pflanze fotografisch zu inszenieren. Nach einem Kurzinput über die verschiedenen fotografischen Perspektiven suchten sie einen geeigneten Ort, wo sie ihre Pflanze einzeln und auf Augenhöhe fotografierten. Später bildeten wir Draussen mit allen Pflanzen einen kleinen Jungle, den die Erstklässler*innen aus ganz unterschiedlichen Blickwindeln und Perspektiven fotografisch festhielten.
Reflexion
Das Unterrichtsprojekt Flora Botanicum ist gelungen, ich bin zufrieden! Natürlich hat die lebendige und stets sehr motivierte Klasse auch zu diesem positiven Ergebnis beigetragen. Es hat mich gefreut, solch fantasiereiche und wissbegierige Erstklässler*innen zu unterrichten.
Das Feedback der Schüler*innen war im Grossen und Ganzen sehr positiv, ausser dass der Faktor Zeit wieder einmal unter den 8 Doppellektionen litt: viele empfanden die 3D-Umsetzung zu knapp berechnet und mussten nacharbeiten kommen. Leider stand ich selber auch unter Zeitdruck, ich musste die Schüler*innen-Arbeiten benoten. Vom Inhalt her würde ich nichts weglassen wollen, alle Schritte – vom Untersuchen der Pflanzen in naher Umgebung, bis zur fertigen Papierpflanze – empfand ich als wichtig für den Lernprozess.
Einige Dinge kann man natürlich immer anders machen, wie beispielsweise die Unterrichtsmethoden und -formen.
Es haben sich vor allem drei Dinge herauskristallisiert, woran ich arbeiten- und in meiner zukünftigen Unterrichtsplanung berücksichtigen will: Erstens: die Unterrichtsprojekte immer selber durchspielen, bevor ich damit vor die Klasse gehe, das hilft auch beim Treffen von Entscheidungen bezüglich des Vorgehens etc. Zweitens: Nachbereiten = Vorbereiten: Sich selber fragen, was im Unterricht nicht funktioniert hat und dann entsprechend planen. Ansonsten kann man auch einmal die Klasse darauf ansprechen. Drittens: Weniger ist mehr! Das muss ich immer wieder realisieren. Oftmals will ich wahnsinnig viel in ein Projekt- oder in eine einzelne Doppellektionen packen. In der Realität zeigt sich dann, dass die Zeit wahnsinnig schnell vorbeigeht und die Schüler*innen dreifach so langsam arbeiten wie ich.
Für ein Folgeprojekt sähe ich das Thema der einfachen raumschaffenden Mittel als geeignet für diese Stufe. Beispielsweise könnte man von den Pflanzenfotografien ausgehend die unterschiedlichen Punkte durchspielen: Überdeckung, Staffelung etc. Anordnungen machen mit unterschiedlich grossen Pflanzen. Diese Anordnungen könnte man in einem weiteren Schritt abmalen. Ausserdem sehe ich die gepressten Pflanzen als geeignet, um mit einer Schwerpunktfachklasse das naturalistische Zeichnen zu thematisieren. Und/ oder eine malerische Umsetzung.
Literatur / Quellen
Ausstellungskatalog Fondation Beyeler (2010): Henri Rousseau – KLassische Moderne. Hatje Cantz Verlag.
Schirmer / Mosel (1994): Karl Blossfeldt. Urformen der Kunst – Wundergarten der Natur: das fotografische Werk in einem Band.
Steiner / Lenzlinger (2014): Nationalpark. Verlag: Lars Müller Publishers
Youtube: Adam Frezza & Terri Chiao, Paper Forest, 2014. https://www.youtube.com/watch?v=bqVD1oL3kQ0&t=96s, online 31.01.22
Youtube: Arte Doku, Der Maler Henri Rousseau oder die Geburt der Moderne. https://www.youtube.com/watch?v=K1XegctTfSc&t=750s, online 31.01.22