Im Überfluss von Bild, Ton und Information selektionieren wir, ob bewusst oder unterbewusst, nach unseren persönlichen Kriterien. Tagtäglich ordnen, sammeln, klassifizieren, werten, sondern, trennen, finden wir einen Konsens. Unser Filter gibt ein Indiz auf eigene Intentionen und Faszinationen. Dabei ist die Handlung des Filterns Teil von jedem Gestaltungsprozess: Ein freies Projekt zum FILTER entsteht.
Begründungs- & Sachanalyse
Die Einheit findet im Fach «Konzept» in einer Klasse im gestalterischen Vorkurs an der Schule für Gestaltung Basel in 4-Lektionen-Blöcken statt. Die 18 Schüler*innen sind zwischen 19 – 21 Jahre alt, haben zuvor die Matura oder Fachmittelschule absolviert und sind interessiert, motiviert. Die Schule besitzt keinen Lehrplan oder inhaltliche Kursbeschreibungen. Die Praktika-Lehrperson offeriert mir die Carte Blanche: Welche Inhalte und Gewichtungen halte ich für wichtig? Was kann und möchte ich thematisieren, den Studierenden mitgeben?
Im Vorkurs werden gestalterische Grundlagen vermittelt, bevor sich die Schüler*innen für einen Werdegang in unterschiedlichen gestalterischen Berufsfelder bewerben. Um ihren Interessen gerecht zu werden, sehe ich das grösste Potenzial in der zwischenmenschlichen Begegnung: Respektvoll, reflektierend, ehrlich, beobachtend, konstruktiv, fragend. So setze ich den Schwerpunkt des Projektes im «Über die (eigene und fremde) Arbeit sprechen». Denke ich zurück an meine eigene gestalterische Ausbildung, so wünsche ich mir, dass die Formate und Wege der Dokumentation früher zu einem Thema gemacht worden wären. Was ist überhaupt ein Werk? Das freie Projekt soll den Schüler*innen die Möglichkeit geben, sich in ihren Interessensbereichen zu vertiefen. Die Meisten werden sich ab Februar für Studiengänge im Bereich Design und Kunst bewerben und sind erpicht, aussagekräftige Arbeiten für ihr Portfolio zu gestalten.
Die Klasse beschäftigt sich bereits seit letztem August mit Konzepten und Entwurfsprozessen, so fallen Einführungsaufgaben weg. Wir steigen direkt in das Projekt zum Thema FILTER ein.
Konzept (lat. conceptum, «das Zusammengefasste») entwerfen, ein formuliertes Gedankengerüst zur Realisation von etwas / «schwanger werden» / visuell und sprachlich präzisieren / das eigene Denken konstruieren / zu einem Konsens verdichten / Interesse in Regeln, Konsequenz, Logik / Prozesse dokumentieren / Archiv / Zeit- + Raumkonzepte / jem. aus dem Konzept bringen: Konzepte erschaffen, erkennen, formulieren, kommunizieren, transportieren, kritisieren: sprachlich & visuell
In meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich mit dem Sammeln von Dingen. Dem zugrunde liegt ein persönliches Unverständnis: Warum sollte man etwas sammeln oder was wäre das?
Mindestens 3. Ist das schon eine Sammlung? Eine Sammlung entsteht über einen Zeitraum und filtert, sortiert, durch sie treffe ich eine Auswahl. Kriterien dazu können so ganz verschieden sein, wir setzen persönliche Schwerpunkte. Dass wir sammeln, hängt mit unserer verbissenen Bestimmtheit, nicht zu vergessen, zusammen. Persönliche, erinnerungsgeknüpfte Objekte. Gibt es Vollständigkeit? Ein Ganzes ist kaum möglich, es geschieht so viel. Bilderflut. Entsteht mehr durch mehr? Sammeln ist sinnlich und ich staune. Verlierst du oft Dinge? Stücke können nicht ersetzt werden. Zeitlichkeit, Örtlichkeit, Konstrukt. Social Media, Festplatte, Kopf, Estrich, Brockenhaus, Schublade, Skizzenbuch, Wertanlage, subjektiv-moralisch, Container, Datenhandel oder -analyse, Wissenschaft, zu neuen Erkenntnissen, Pot, Zusammengetragenes mit Pflegebedürfnis und Verfallsdatum, Versuche das Ephemere zu konservieren. – Auszug aus einem Gedankenspaziergang zum Sammeln.
Über den Begriff des Sammelns komme ich auf den Begriff des Filterns. Der Auftrag zum FILTER entsteht: Recherchieren Sie die Dimensionen des Begriffes «Filter» auf unterschiedlichen Kanälen und dokumentieren Sie Ihre Untersuchung sprachlich und visuell. Entscheiden Sie sich für einen Aspekt des Themenkomplexes und gestalten Sie eine eigenständige Umsetzung. Die Produktionen werden anschliessend in einer Ausstellung präsentiert.
Vorgehen
Im Projekt offerierte ich den Schüler*innen Zeit und Raum ihren Interessen nachzugehen. Ich gab das thematische Gefäss FILTER vor und erschuf in der Unterrichtsplanung Gefässe für Reflexion und Diskussion.Abschliessend gestalteten wir eine Ausstellung der medial frei entstandenen Arbeiten an der Schule.
Wir trafen uns in der Bibliothek für Gestaltung und stiegen mit dem Auftrag ins Projekt ein. Nach ihrer Recherche sendeten mir die Schüler*innen ihre Bildsammlung zu. Ich verstand mich als Spiegel ihrer Arbeit, bündelte ihre Aspekte und transportierte diese sprachlich, sowie visuell an die Klasse zurück. Im weiteren Projektverlauf fanden Gespräche in unterschiedlichen Sozialformen statt: Wir sprachen in Kleingruppen über Konzepte und Umsetzungen, die Klasse informierte sich in Hinblick auf eine Abschlussausstellung über gewählte mediale Formen und Thematiken, in durchmischten Gruppen sprach man zuerst über das zu Sehende, Hörende, Ertastende, Riechende ohne eine vorausgehende, begleitende Erklärung.
Ergänzend sprachen wir über Künstlerpositionen wie den Performancekünstler Tino Sehgal (Anleitungen und Dokumentationsverbot), Bernd und Hilla Becher (Kulturerscheinungen fotografisch dokumentieren), Anna-Sabine Zürrer (das Auflösen von Inhalten), Marcel Duchamp’s Boite en Valise (Selbstrepräsentation in der Box) oder Amalia Ulman (das inszenierte Selbst als Fake).
Im Verlauf des Projektes entschied sich die Klasse eine Auswahl an Arbeiten in der Ausstellung zu zeigen. Die Klasse wollte sich eine repräsentative, qualitativ hochwertige Ausstellung erarbeiten. Die Auswahl wurde gemeinsam getroffen, die Ausstellung von den Schüler*innen selbstständig kuratiert und aufgebaut.
Beurteilung
Die Schüler*innen hatten im Verlauf des Projektes die Möglichkeit, zusätzliche individuelle Kriterien zu formulieren. Ein Beurteilungsgespräch erfolgt am Ende des Projektes gemeinsam mit den Schüler*innen. Da es sich dies für die Schüler*innen als sehr schwierig erwies, setzte ich die definitiven Noten liess sie mit einem schriftlichen Feedback den Schüler*innen zukommen.
Kriterien:
– Aktive Teilnahme an Präsentationen (Feedbackkultur)
– Form – Medium – Inhalt unterstützen sich gegenseitig
– Inhaltliche Aussagekraft und gestalterisch-technische Qualität Individuelle – Individuelle Kriterien?
Reflexion & Auswertung
Ein durchaus erfreuliches erstes Unterrichtsprojekt: In einem Klima gegenseitiger Akzeptanz und offener Rahmung gelang es uns, einen anregenden, ehrlichen Austausch stattfinden zu lassen. Meine vorausgehende Auseinandersetzung mit meiner Erwartung in der Rolle als Lehrperson im Vorkurs half mir, mein Handeln danach auszurichten, entspannt und authentisch zu agieren.
Entstanden sind unterschiedliche Arbeiten prägnant präsentiert. Der Zeitraum von 6 mal 4 Lektionen entpuppte sich als eher knapp bemessen für eine wirklich vertiefte, auch für die Schüler*innen befriedigende Auseinandersetzung, gerade auch, weil sie sich längere Zeiträume gewöhnt sind. Es wäre unterstützend gewesen, diesen Zeitrahmen der Klasse wiederholt klar vor Augen zu führen. Um das Bewusstsein der Schüler*innen für die Prozesse zu schärfen, hätte man vertieft über Kontexte und Zielsetzungen unterschiedlicher Arbeitsphasen sprechen können: Neue Formate stiessen zum Teil auf Unverständnis, was durch eine kurze Diskussion oder Erläuterung hätte geklärt werden können. Verbesserungspotenzial sehe ich im Erteilen klarer Aufträge. Der Aufbau des Praktikums erwies sich als sinnvoll: Durch die offene Rahmung gestaltete sich der Bewertungsprozess als schwierig und erschien auch den Schüler*innen während der Selbstbewertung als kaum fassbar. Für diesen Prozess wäre das Setzen von engeren Regeln hilfreich gewesen.
Rückblickend sehe ich mehr Potenzial im Begriff FILTERN wie FILTER, da das Verb eine Handlung anspricht, ebenso wie schon im Konzept, im Entwurf, in der Prozessgestaltung suggeriert wird.
Ausstellungsansicht «FILTER»