ABSTRACT
In dieser Unterrichtseinheit lernen die SuS einer 6. Fachmittelschulklasse unterschiedliche Methoden kennen, um sich mittels Kurzfilm der eigenen Identität anzunähern und den persönlichen Blick auf sich selbst zu vermitteln.
INHALT
Begründungsanalyse – Durch die Sozialen Medien sind Jugendliche heute täglich, wenn nicht sogar stündlich, mit medialen Selbstdarstellungen konfrontiert. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass sich Jugendliche mit den Themen «Selbstdarstellung» und «Identität» eingehend auseinandersetzen. Das Ziel der Unterrichtseinheit ist, dass die SuS mit dem Medium Film ihren persönlichen Blick auf die eigene Identität differenziert vermitteln können und dabei die Kamera ihres Handys als gestalterisches Ausdrucksmittel neu kennenlernen. Dieser Prozess setzt aus meiner Sicht voraus, dass die SuS das Selbstporträt in der Kunst vom Selbstporträt als Statusmeldung (Selfie) unterscheiden lernen und folglich den Begriff «Selbstporträt» vom körperlichen Aussehen loslösen und erweitern können. Die Vermittlung des (kunst)geschichtlichen Kontextes, sowie des metaphorischen Bildverständnisses, spielt für meine Unterrichtseinheit deshalb eine zentrale Rolle.
Sachanalyse – Für die Vorbereitung der Unterrichtseinheit habe ich mich in die Geschichte des Selbstporträts vertieft und unterschiedlichste filmische Selbstporträts gesichtet.
Literatur:
- Hall James (2016). Das gemalte Ich: Die Geschichte des Selbstporträts. Darmstadt: Philipp von Zabern.
- Morill Rebecca (2018) (Hrsg). 500 Selbstporträts. Berlin: Phaidon.
- Ullrich Wolfgang, Annekathrin Kohout (2019) (Hrsg.). Selfies. Die Rückkehr des öffentlichen Lebens (2. Auflage). Berlin: Wagenbach.
Filmische Selbstporträts im Dokumentar- und Experimentalfilm (u.a.):
- « Backyard » von Ross McElwee (1984)
- « Day Is Done » von Thomas Imbach (2011)
- « Demain et encore demain » von Dominique Cabrera (1995)
- « Flying Confessions of a Free Woman » von Jennifer Fox (2006)
- « Hans im Glück » Peter Liechti (2003)
- « How not to be seen » von Hito Steyerl (2013)
- « JLG/JLG-Autoportrait de décembre » von Jean-Luc Godard (1995)
- « La sociologue et l’ourson » Mathias Théry (2016)
- « Le Filmeur » von Alain Cavalier (2005)
- « Meshes of the Afternoon » von Maya Deren (1943)
- « Open my Glade” von Pipilotti Rist (2000)
- « Shooting Days » von Orian Barki (2008)
- « Tarnation » von Jonathan Caouette (2003)
- « Tentatives de se décrire » von Boris Lehman (2005)
- « Walden: Diaries, Notes & Sketches » von Jonas Mekas (1968)
LERNZIELE und BEURTEILUNGSKRITERIEN
Grobziele der Unterrichtseinheit die Schülerinnen und Schüler
- können das Selbstporträt in der Kunst vom Selbstporträt als Statusmeldung (Selfie) unterscheiden
- kennen die Entwicklung des Selbstporträts in der Kunst bis hin zur Entstehung des filmischen Selbstporträts
- setzen sich kritisch mit den Begriffen «Selbstporträt» und «Identität» auseinander
- werden im prozesshaften Arbeiten gefördert
- werden im metaphorischen Bildausdruck angeregt
- erwerben Grundlagenkenntnisse in der Bild- und Montagegestaltung
- lernen das Schnittprogramm iMovie kennen und anwenden
- reflektieren ihre eigene Arbeit und analysieren die Arbeiten ihrer Mit-SuS
Beurteilungskriterien
- Bildinhalt
- Bildsprache
- Narration
- Schnitt
- Prozessdokumentation
AUFBAU
Ich habe die Unterrichtseinheit für eine 6. Fachmittelschulklasse mit Vertiefungsfach Gestalten in einer Zeiteinheit von acht Doppellektionen entwickelt.
1. Doppellektion: Kunstgeschichtlicher Kontext; Begriffsklärung
Nach einem Gruppenauftrag als Einstieg leite ich in die Geschichte des Selbstporträts über und zeige anschliessend zwei gegensätzliche Beispiele filmischer Selbstporträts. Nach der Besprechung der Begriffe «Selbstporträt» und «Identität» und dem Bekanntgeben des Projektauftrags, erhalten die SuS verschiedene Fragen zu ihrer eigenen Identität. Eine der Fragen verlangt die Beschreibung ihrer aktuellen Gefühlslage. Daraus erhalten die SuS die Hausaufgabe für die nächste DL: Sie sollen mit dem Handy eine Bildeinstellung drehen, welche für sie ihre Gefühlslage zum Ausdruck bringt.
2. Doppellektion: Metaphorischer Bildausdruck; Bildgestaltung
Wir schauen die Hausaufgaben gemeinsam an und analysieren: Wurde die Gefühlslage im Bild durch eine Handlung dargestellt? Oder wurde sie durch ein Bild metaphorisch zum Ausdruck gebracht? Anschliessend gebe ich eine Einführung in die klassische Bildgestaltung, worauf die SuS die Gestaltungselemente in Gruppen praktisch erforschen.
3. Doppellektion: Einführung ins Schnittprogramm; Übung am Objekt
Ich gebe eine Einführung ins Schnittprogramm iMovie, damit die SuS für die nächste Übung gerüstet sind: Sie müssen im Schulhaus ein Objekt suchen und dieses mit der Wahl der Bildausschnitte «aufdecken». Damit beginnen sie, Bildausschnitte erzälerisch zu nutzen und in einen dramaturgischen Kontext zu bringen. Zur Veranschaulichung des Auftrags zeige ich zwei vorbereitete Beispiele:
Als Hausaufgabe auf die 4. DL entwickeln die SuS Ideen für ihr filmisches Selbstporträt (Projektauftrag) und bereiten sich auf die individuellen Besprechungen vor.
4. Doppellektion: Schnittübung; Individuelle Projektbesprechungen
Die SuS schneiden die Objektübung gemäss Auftrag der 3.DL. Währenddessen führe ich die individuellen Einzelbesprechungen. Zum Schluss werden die SuS mit Stativen und Handyhalterungen ausgerüstet, damit sie zuhause mit dem Dreh ihrer filmischen Selbstporträts beginnen können.
5. Doppellektion: Einführung in die Narration und Postproduktion
Zum Einstieg nach den verlängerten Ferien halten wir im Kreis eine Standortbestimmung zu den individuellen Projekten ab. Danach gebe ich einen Input zum Umgang mit gesammeltem Bildmaterial und der Entwicklung der Narration, sowie eine Einführung in die Postproduktion. Nachfolgend arbeiten die SuS an ihren Projekten weiter.
6. & 7. Doppellektion: Individuelle Weiterarbeit an den Projekten
Die SuS drehen und schneiden ihre filmischen Selbstporträts. Währenddessen gebe ich ihnen individuelle Feedbacks. Da sie zuhause noch weiterarbeiten möchten, senden sie mir die fertiggestellten Filme vor der achten Doppellektion zu.
Arbeitssituation Feedbacksituation
8. Doppellektion: Visionierung und Feedback
Wir schauen alle Filme gemeinsam an. Dazu erhalten die SuS einen Beobachtungsauftrag mit Bezug zu den Beurteilungskriterien. Diesbezüglich geben sich die SuS im Anschluss jeweils gegenseitig Feedback.
REFLEXION
Die Reichhaltigkeit und Qualität der Endresultate haben mich überrascht und sehr gefreut. Denn erst mit Abschluss der achten Doppellektion und mit der Einsicht in die Prozessdokumentationshefte war ich mir sicher, dass die SuS die Lernziele erreicht hatten. Zuvor war dies schwierig einzuschätzen, da beim Medium Film die Einsicht in den Arbeitsprozess begrenzt ist («undurchsichtige» Schnittarbeit am iPad). Zudem war es aufgrund der Maskenpflicht schwierig, die Gesichter der SuS zu «lesen»: Sind sie motiviert? Haben sie mich verstanden? Dieser Umstand hat mich vor allem zu Beginn verunsichert. Deshalb habe ich begonnen, die Doppellektion jeweils im Kreis zu beginnen. Dieses Einstiegsritual hat einen vertrauteren Rahmen geschaffen und bei den SuS den Redefluss angeregt. Und so konnte ich die Motivation und Bedürfnisse besser wahrnehmen.
In der Planungsphase war es für mich eine grosse Herausforderung, mein filmisches Fachwissen auf das für die SuS Wesentliche zu reduzieren. In dieser Hinsicht fand ich es keine Vereinfachung, das erste Praktikum mit dem eigenen Spezialgebiet zu beginnen.
Ich hatte die acht Doppellektionen bereits im Voraus feingeplant, da ich die Klasse zwei Doppellektionen pro Woche unterrichtete. Die genaue Vorbereitung gab mir einerseits Sicherheit, andererseits fühlte ich mich dadurch zwischenzeitlich «aus der Bahn geworfen», als die SuS eine Hausaufgabe für mich unerwartet umgesetzt haben (Darstellung anstatt Sinnbild) und ich deswegen kurzzeitig einen neuen Input einplanen musste.
Eine weitere Schwierigkeit bestand für mich darin, dass in der Mitte des Praktikums die (aufgrund Corona verlängerten) Weihnachtsferien lagen. Dieser Umstand nahm dem Praktikum den Fluss. Ich hatte nach den Ferien das Gefühl, dass ich die Energie wieder neu aufbauen musste.
Eine mögliche Erweiterung des Projekts sehe ich in der Vertiefung des Tons und der Sprache als gestalterische Elemente. Zum Beispiel könnten die filmischen Selbstporträts mit sprachlichen Selbstporträts in Form von «Voice Over» (z.B. als Gedichte; evtl. in Zusammenarbeit mit dem Fach Deutsch) erweitert werden.