Diese Unterrichtseinheit beschäftigt sich mit dem figürlichen Zeichnen, dem Inszenieren des Körpers im Raum und einem Transfer zur Malerei. Leitfaden der gesamten Einheit ist die An- und Abwesenheit des Menschen.
Das Praktikum fand am Gymnasium Kirchenfeld in Bern statt. Ich unterrichtete eine Gym 2 Klasse (zweitletztes Jahr am Gymnasium) während acht Doppellektionen.
SACHANALYSE | BEGRÜNDUNGSANALYSE
Im Zeitalter des Smartphones sind wir oft auf den Bildschirm konzentriert und nehmen nicht wahr, was um uns geschieht. Wir sind abwesend, versteckt hinter dem kleinen Bildschirm, wenn wir zum Beispiel Tram fahren oder warten. Parallel dazu zeigen wir uns bei fast jeder Aktion auf Instagram und lassen nichts mehr privat, sind jederzeit erreichbar. An-und Abwesenheit wechseln sich ab. Wann sind wir wirklich da, wann abwesend? Macht uns ein Abwenden des Blicks anonym? Welche Bedeutung hat dabei die Körperhaltung? Wie nehme ich einen Menschen wahr, der sein Gesicht abwendet?
Verschiedene zeitgenössische Künstler setzen sich mit dem Thema „Abwesenheit“ auseinander, wie Tino Sehgal, dessen Werke weder dokumentiert werden, noch fotografiert oder mit Video festgehalten werden dürfen. Der Künstler Bansky zeigt sich nur hinter einer Papiertüte versteckt, sein Name ist nicht bekannt. Nela Fletcher spielt mit inszenierten Körpern im Raum, die sich zwischen An- und Abwesenheit befinden. In David Hockneys Malereien kann man beobachten, dass sich die Menschen nie anschauen und dadurch eine Art Abwesenheit entsteht.
Um das genaue Beobachten und die Wachsamkeit zu schulen, wählte ich für den ersten Teil der Unterrichtseinheit das figürliche Zeichnen nach Modell. Für das Laboratorium I wählte ich Tusche, damit bereits ein Üben der Pinselführung etc. möglich war. Da ich die SuS in einem späteren Auftrag den Körper im Raum inszenieren liess, war es mir wichtig, dass die SuS ihre eigene Körperwahrnehmung stärkten. Mit Aufwärmübungen bereiteten sie sich auf das Modellstehen vor und bei der Proportionslehre begannen wir aus diesem Grund auch anhand des eigenen Körpers die Gelenkpunkte und Körperachsen wahrzunehmen.
Das Laboratorium sollte den SuS, auf verschiedene Arten den menschlichen Körper festzuhalten und neue Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken. Dabei wurden auch Grundelemente der Proportionslehre eingeführt, mit dem Ziel sich die SuS daran zu orientieren, ohne allzu fest eingeschränkt zu werden.
Im zweiten Teil der Unterrichtseinheit ging es darum, Abwesenheit in Frage zu stellen und sich durch das Inszenieren der Körper im Raum erneut mit der Bildkomposition auseinander zu setzen. Das Wählen eines Ausschnitts, die Reduktion in der Malerei, die Abwesenheit von Details und im Gegensatz dazu die Anwesenheit von Farbigkeit, waren im Transfer in die Malerei von Wichtigkeit.
Literatur: Figur, Menschen zeichnen; Peter Boerboom, Hauptverlag | Notizen zum figürlichen Zeichnen; Peter Jenny, Verlag Hermann Schmidt, Mainz | Findet mich das Glück? Fischli und Weiss, Verlag der Buchhandlung Walther König | Kunst und Bild, hep Verlag.
LERNZIELE UND BEURTEILUNGSKRITERIEN
Lernziele:
>neue Zeichentechniken (Tusche) für das figürliche Zeichnen kennenlernen und anwenden können,
>Anhaltspunkte der Proportionslehre kennen, diese als Orientierung anwenden können
>Merkmale der Bildkomposition im kunsthistorischen Kontext kennen und diese räumlich / auf dem Papier anwenden.
>Tram: Wahrnehmen und zeichnerisches Erfassen der Tramgäste , Bezug zum Raum (Tram) herstellen können.
>Auseinandersetzung mit An- und Abwesenheit
>Den eigenen und den fremden Körper differenziert wahrnehmen und darstellen. Körper im Raum inszenieren und in Beziehung setzen.
>Farb- und Formkompositionen erproben
>sich mit Reduktion auseinandersetzen
KRITERIEN:
Laboratorium: Einsatz Tusche, Pinselführung | Erfassung der Figuren, der Haltung des Körpers, Vereinfachung | Einbezug der Proportionen in vereinfachter Form | Bildkomposition | Tiefe der Auseinandersetzung
Inszenierte Fotografie: Bildkomposition, den Körper ist in Beziehung mit dem Raum bringen, Körper ist in Beziehung mit dem Raum,. Vereinfachung.
Malerei: Auswahl des Bildausschnitts, Erfassung der Figur | Starke Bildwirkung durch Farb- und Formkomposition, Reduktion | sichtbare Planung auf einer Skizze | Qualität der Malerei | schriftliche Reflexion.
ABLAUF
Doppellektion 1: Die SuS formen als Einstieg aus dünnen Ästen eine Figur, stehen anhand der Figur Modell und zeichnen mit Tusche. Damit stellen wir uns vor. Überblick über die nächsten acht Wochen und das Laboratorium. Input zum Zeichnen mit Tusche, individuelles Arbeiten am Laboratorium.
Arbeiten der SuS aus der ersten Lektion
Doppellektion 2: Input zur Proportionslehre, Beginn mit Wahrnehmungsübungen am eigenen Körper. Zeichnerischer Auftrag zum Skelettieren des Körpers und dem Vermessen. Weiterarbeit im Laboratorium.
Doppellektion 3: Unterricht in einem grossen, leeren Raum. Input zum Gegenwartskünstler Tino Sehgal (->Abwesenheit der Dokumentation). Aufwärmübungen mit Körperpositionen, darstellen von «Situationen» anhand der Idee von Tino Sehgal, abzeichnen der Modelle anhand von verschiedenen Techniken. Input zu Merkmalen der Bildkomposition. In Gruppen Umsetzung der Merkmale in eigene Körperkompositionen, abzeichnen.
Doppellektion 4: Wir skizzieren Menschen im Tram. Anwenden von bereits eingeführten Techniken im Laboratorium, experimentieren mit eigenen Zeichnungsvarianten. Was nehmen wir bei den Menschen wahr? Besprechung im Freien nach der Tramfahrt. Peer-to-Peer Feedback.
Doppellektion 5: Rückblick zur Tramfahrt als Einstieg in das Thema Abwesenheit. Input zum Künstler Banksy (->Abwesenheit des Künstlers) und Sammlung von Fragen (in Anlehnung an die Fragensammlung von Fischli & Weiss: Findet mich das Glück?) zum Thema Abwesenheit in Gruppen. Übung von Körperdarstellung im Raum. Input zum Auftrag «Körper im Raum inszenieren). Selbständiges Umsetzen des Auftrags.
Doppellektion 6: Stummer Einstieg mit den Fotos der SuS und der Fragensammlung der letzten Doppellektion. Einführung in die Malerei anhand von einer Gruppenarbeit zur Wirkung von Farbe/ Farbigkeit. Input zum Malauftrag. Malereibeginn.
Doppellektion 7: Beginn mit Bildern und Zitaten von einem aktuellen Interview mit der Künstlerin Katharina Grosse. Inputs zu Hell und Dunkel und dem Mischen von Farbtönen. Arbeitsphase.
Doppellektion 8: Weiterführung der Malerei. Gegen Ende der DL auslegen der gewählten Arbeiten der acht Wochen, die am Ende abgegeben werden. Rundgang und besprechen der Malerei anhand von bekannten Kriterien zu zweit. Abschluss.
REFLEXION
Das achtwöchige Praktikum gab mir die Möglichkeit vieles auszuprobieren und ich wurde dabei von meiner Praxislehrerin auf eine sehr hilfreiche Weise unterstützt. Meine Praktikumsklasse war klein und ich erlebte die SuS als interessiert und offen gegenüber meiner zum Teil für sie auch ungewohnten Herangehensweise wie zum Beispiel bei den Aufwärmübungen für das Verstehen der Gelenkpunkte oder dem Modellstehen. Einige Male fand der Unterricht ausserhalb des Zeichenzimmers statt, einmal in der Mediothek – einem grossen leeren Raum, im Tram zum Skizzieren und im und ums Schulhaus beim inszenierten Fotografieren. Dieses Rausgehen aus dem gewohntem Raum, die Wahrnehmung anderswo zu schulen, fand ich als sehr bereichernd für den Unterricht und das Feedback der SuS bestätigte mir, dass dies bei ihnen auch Anklang gefunden hatte.
Meine Planung war ziemlich dicht angedacht und tendenziell hatte ich mir für eine Doppellektion eher viel vorgenommen. Vor allem beim Transfer in die Malerei hätte ich mir mehr Zeit gewünscht. Die SuS hatten nicht wirklich genügend Zeit beim Malen in den Flow zu kommen und es gab auch nicht die Möglichkeit, verschiedene Varianten und Formate auszuprobieren, zu scheitern und wieder neu zu beginnen, was ich sehr schade fand. Auch die SuS gaben mir die Rückmeldung, dass sie sich gegen Ende etwas gestresst fühlten und gerne mehr Zeit gehabt hätten. Bei der nächsten Praktikumsplanung möchte ich ein Augenmerk darauf legen, wie viel ich einplane und wie ich entscheide, was Teil vom Unterricht wird.
Insgesamt bin ich mit dem Praktikum sehr zufrieden und ich hatte viel Freude beim Unterrichten.