Verfremdung von Alltagsgegenständen,
um Gewohntes ungewöhnlich zu erfahren und in Inhalt und Form neu zu denken!
Bedingungsanalyse
Im vorgestellten Praktikum durfte ich dreizehn Schüler*innen einer vierten Klasse (Halb-Klasse) mit Schwerpunkt Wirtschaft an der Kantonsschule Zürich Nord im Langzeitgymnasium über ein Semester im Fach der Bildnerischen Gestaltung begleiten. Dabei galt es den Auftrag der Praktikumslehrperson zu berücksichtigen, welcher das plastische Gestalten und das Thema Abstraktion miteinbinden sollte, da die Schüler*innen darin bisher noch kaum Vorwissen und Vorkenntnisse in ihrem Unterricht sammeln konnten. Zudem war mein Auftrag zunächst eher kleinere Gestaltungsaufgaben mit kurzer Projektdauer vorzusehen, da die Schüler*innen nicht daran gewohnt seien über einen längeren Zeitraum ein offenes Gestaltungsprojekt eigen- und selbstständig zu erarbeiten. Zusätzlich sollte ich die entstandenen Arbeiten am Schluss jeder Lektion mit den Schüler*innen im Plenum reflektieren.
Nach intensiven Gesprächen mit der Praktikumslehrperson entwickelte ich mehrere kleinere konkretere Gestaltungsaufgaben, welche die Schüler*innen auf eine grössere offenere gestalterische Projektaufgabe vorbereiten sollte. Als Rahmenthema wurde von mir dabei die Gegenstandsverfremdung ins Zentrum gestellt, welche im Semesterprogramm sowohl eine inhaltliche als auch angewendete künstlerische Ausprägung haben sollte. Die Reichhaltigkeit und Offenheit des Rahmenthemas lud dazu ein, den Schülerinnen und Schülern Einblicke in die vielfältigsten künstlerischen Ausdrucksformen und gestalterischen Anwendungsformen zu geben und ihnen damit einen individuellen Zugang anbieten zu können.
Sach- und Begründungsanalyse
„Wenn wir nur sehen, was wir wissen, ist es sinnlos, die Wahrnehmung schärfen zu wollen.“ (vgl. Müglich, 2009; zitiert nach Maturana, 1987)
Das Zitat von Humberto R. Maturana betont die Bedeutung der Offenheit, des kritischen Denkens und der Selbstreflexion, um unsere Wahrnehmung auf die Welt zu erweitern und zu vertiefen.
Die künstlerische Verfremdung von Alltäglichem begünstigt dabei eine differenzierte ästhetische Wahrnehmung und somit eine genauere und kritischere Betrachtung der Realität. Die sinnlich-ästhetische Auseinandersetzung mit alltäglichen bekannten Gegenständen inspiriert die äussere Welt in ihrer gegeben Gestalt zu hinterfragen und daraus alternative künstlerische Sichtweisen und Ausdrucksformen zu entwickeln.
Um Schüler*innen in ihren selbstbestimmten forschenden Lernprozessen zu fördern, um dabei ihre kreative Denk- und Handlungsfähigkeit zu erweitern, gilt es, ihnen einen individuellen Zugang zu ästhetischer Wahrnehmung und Erfahrung zu ermöglichen und sie dadurch zu befähigen, über bereits Vorhandenes bzw. Bekanntes hinauszudenken.
Inspiriert von der Ästhetischen Forschung, wie sie von Helga Kämpf-Jansen nachhaltig geprägt ist (vgl. Kämpf-Jansen, 2000), sollte das Potential einer subjekt- und prozessorientierten Ausrichtung in der Unterrichtsgestaltung angestrebt werden.
Die Schüler*innen sollten demzufolge in meinem Unterricht in individuellen gestalterischen Explorationsprozessen auf Grundlage ihrer individuellen Alltagserfahrungen und Interessen ermutigt werden, den Alltagsgegenstand selbstentdeckend kontextübergreifend und entkontextualisiert zu untersuchen, um aus ihren gewonnenen reflektierten Erkenntnissen und Erfahrungen dessen Inhalt und Form eigenständig neu zu denken. In adaptiver Lernbegleitung sollten die Schüler*innen dabei im Aneignen und Vertiefen unterschiedlicher Kreativmethoden und Gestaltungstechniken unterstützt werden, um ihre eigenständigen Gestaltungsvorgehen- und konzepte selbstständig zu entwickeln und sichtbar zu machen.
Über den Ablauf und die Inhalte mit ihren Lernzielen
und Beurteilungskriterien
Kleinere konkrete Projektaufgaben, um wesentliche Lernprozesse schrittweise zu erfahren.
Als Hinführung zu einer grösseren offeneren gestalterischen Projektaufgabe konnten die Schüler*innen zunächst innerhalb einzelner kleinerer Projektaufgaben –ausgehend vom Rahmenthema der Gegenstandsverfremdung– verschiedene Aspekte in künstlerischen Ausdrucks- und gestalterischen Anwendungsformen kennenlernen und in theoretischer und praktischer Auseinandersetzung in Einzel- und Gruppenarbeit erfahren werden.
Ein Verständnis für Lerninhalte, -ziele und Bewertungskriterien bewirken, um ein reflektiertes selbst- und eigenständiges Arbeiten zu fördern und zu etablieren.
Die kleineren Kreativaufgaben in unterschiedlichen Darstellungsformen- und Anwendungstechniken sollten die Schüler*innen nicht nur in entsprechenden gestalterischen Fähigkeiten und Fertigkeiten schulen, sondern ihnen auch die unterschiedlichen Anforderungen und Bewertungskriterien hinsichtlich ihrer Konzeptentwicklung und -ausführung greifbar machen. Um ein gemeinsames Verständnis für die unterschiedlichen Qualitätsmerkmale an eine gestalterisch kreative und künstlerisch abstrakte Arbeit zu bewirken, half es dabei angeleitet in Gruppenarbeit die im Unterricht entstandenen Schülerarbeiten im Gemeinsam zu diskutieren und zu reflektieren. Die Schüler*innen konnten damit die geklärten Bewertungskriterien nutzen, um zu lernen den eigenen Explorationsprozess mit deren Ergebnissen objektiver zu bewerten und zu erkennen, wie sie die eigene Arbeit verbessern und vorantreiben können.
Zudem liessen die unterschiedlichen und differenzierten Bewertungskriterien hinsichtlich der jeweiligen Prozesse und Zwischenergebnisse und der finalen Umsetzung zu, die unterschiedlichen Stärken der individuellen Schüler*innen positiv zu berücksichtigen. Neben der Qualität und Intensität in der Gestaltung wurde das selbstständige Arbeitsverhalten auch im Umgang mit Arbeitsmaterialien und das Engagement im Sozialverhalten bewertet. Hierbei wurde die aktive, konstruktive und bereichernde Einbringung in die Unterrichtsgestaltung mit dem Einsatz in der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung in der Lerngruppe berücksichtigt.
Im Prozess der finalen Notengebung wurden die Schüler*innen aktiv miteingebunden. In Gesprächen zur Selbsteinschätzung konnten sie individuell ein zusätzliches Bewertungskriterium mit mir verhandeln.
In-ter-Aktion mit meinen Alltagsgegenständen! Die Gegenstandsverfremdung als performative Skulptur am eigenen Körper erfahren.
Eine Sensibilisierung für das Entwickeln, Inszenieren und Dokumentieren von performativen künstlerischen Konzepten.
Formgefühl. Erarbeiten einer künstlerisch abstrakten Gegenstandsfusion aus ertasteten und nachgebildeten Alltagsgegenständen.
Eine Sensibilisierung für die Erfassung und Abstraktion von Gegenständen im plastischen Gestalten aus Plastilin.
Geben Sie Ihrer Gestaltungsidee ein TitelBild!
Eine Übung, durch plakative Formulierung und Darstellung in Wort und Bild, die Gestaltungsidee zu schärfen.
Den Wissenstransfer durch den Lebensweltbezug der Schüler*innen greifbar und erlebbar machen
Das gezielte Einbringen und Diskutieren von Künstlerbeispielen im Plenum oder in Gruppenarbeit zu Beginn und während dem Projektverlauf half den Schüler*innen konkrete Zusammenhänge von Inhalt und Form besser zu verstehen und die Reichhaltigkeit in den unterschiedlichen künstlerischen Positionen und deren Ausdrucksformen zu begreifen. Dies gelang insbesondere dadurch, dass die Beispiele oft direkten Bezug zu den Fragen der Schüler*innen an ihre eigene Arbeit in Anlehnung an ihre Lebenswelt und ihre Interessen herstellten. Sie erkannten dabei im individuellen Kontext welchen wertvollen Beitrag das künstlerische Schaffen leisten kann und wie sie das „out of the box-Denken“ selbst nutzen können, um den eigenen Arbeitsprozess zu bereichern und um sich darin fachlich und überfachlich weiterzuentwickeln.
Ich sehe Was, was du nicht siehst? Ein Workshop über das Sichtbare und Unsichtbare in der Assemblage.
Ein Workshop zur Sensibilisierung und Formulierung einer detaillierten Beobachtung, der ästhetischen Wahrnehmung und dem Perspektivenwechsel im Betrachten, Analysieren und Interpretieren von Kunstwerken im Kontext der plastischen und räumlichen Gegenstandsverfremdung.
„Act Like You Know Me“– Eine Exkursion ins Kunsthaus Zürich.
Passend zum Rahmenthema der Gegenstandsverfremdung bot sich eine Exkursion ins Kunsthaus Zürich an, bei der die Schüler*innen im Rahmen eines geführten interaktiven Rundgangs und Workshops nicht nur einen fragmentarischen Einblick in das mehr als 50 Jahre umfassende Werk der Künstlerin Pipa Garner im Rahmen der Ausstellung „Act Like You Know Me“ bekamen, sondern aktiv mit bereitgestelltem Material experimentell eine zwei- oder dreidimensionale kleine Arbeit zum Thema Gegenstandsverfremdung erarbeiten konnten.
Sammeln, Inszenieren und Aufbereiten der individuellen Lernprozesse und Ergebnisse
Das begleitende digitale Aufbereiten und Ablegen der Dokumentation –über den fortlaufenden individuellen Arbeitsprozess mit den Ergebnissen– sollte ein wesentlicher Bestandteil im Lernprozess der Schüler*innen darstellen.
Dabei verlangte es den Schüler*innen Grundlagen für das Fotografieren und der Nachbearbeitung ihrer Aufnahmen im Photoshop zu vermitteln, um neben der fotografischen Prozessdokumentation auch die Inszenierte Fotografie für das Darstellen der Ergebnisse in den unterschiedlichen räumlichen Situation gelingen zu lassen. Die Schüler*innen wurde dazu von mir zu Beginn der Unterrichtssequenz angeleitet, eine Sensibilität für Innen-und Aussenaufnahmen zu bekommen, um eine bestimmte Bildwirkung zu erzeugen. Nachdem die Schüler*innen ein Gefühl für die Bildkomposition mit Überlegungen zur Perspektive, Schärfentiefe und zur Farbstimmung mit dem Umgang von Licht bekommen konnten, wurden sie von mir angeleitet ihre Bilder im Photoshop technisch zu optimieren.
Für die Ablage und Archivierung wurde den Schülerinnen und Schülern eine digitale Plattform eingerichtet, welche nur für die Klassengemeinschaft zugänglich war. Dies sollte nicht nur mir detailliertere Einblicke über ihren Entwicklungsprozess geben, um sie in adaptiver Lernbegleitung individuell zu unterstützen, sondern ihnen selbst den eigenen Entwicklungsprozess sichtbar machen, um diesen zu reflektieren und einen gegenseitigen Austausch innerhalb der Klassengemeinschaft anzuregen.
In abschliessender offeneren Gestaltungsaufgabe die kreativen Freiräume nutzen
Durch die gewonnenen Erfahrungen, Erkenntnisse und Impulse konnten die Schüler*innen dazu ermutigt und befähigt werden, die grösseren Gestaltungsspielräume konstruktiv und explorativ für sich zu nutzen, um im folgenden abschliessenden offenerem Gestaltungsprojekt selbstbestimmt den Inhalt und die Umsetzung festzulegen und zeitgerecht selbstständig zu entwickeln und zu realisieren.
Eng verbunden – eine persönliche Geschichte erzählt durch eine Assemblage aus eigenen Alltagsgegenständen.
Eine Transformation, um gewöhnliche Gegenstände zu einem aussergewöhnlichen Kunstobjekt zu verbinden und inszeniert darzustellen.
Ausgehend von einer thematisch eigenständig entwickelten Assemblage aus persönlichen Gegenständen schloss die Aufgabe das Inszenieren des Kunstobjektes über ein zusätzlich gewähltes Medium mit ein. Dadurch sollte der Kunstgegenstand in seiner ästhetischen Wirkung und Bedeutung noch klarer hervorgehoben werden.
Reflexion
Die subjektorientierte Praxis wurde in meinem Unterricht in den Mittelpunkt der Vermittlung gestellt, da nur der persönliche und erlebte Ansatz nachhaltige Bildungsprozesse auslöst. Dies lässt sich insbesondere im Unterrichtsfach der Bildnerischen Gestaltung –ausgehend von der eigenen Wahrnehmung und der notwendigen Selbsterfahrung im Aneignen von Gestaltungstechniken und auch im Finden einer eigenständigen Gestaltungsidee und Ausdrucksform– annehmen.
Die Lernprozesse konnten durch die Bereitschaft und Offenheit der Schüler*innen und im gegenseitigen Vertrauen der Lerngemeinschaft selbstkritisch hinterfragt, analysiert und diskutiert werden, um ein eigenes Verständnis zu gewinnen und Erkenntnisse zu entwickeln. Daher war die Reflexion in den unterschiedlichen Lernprozessen unerlässlich und eng mit dem Verstehen, Empfangen und Anwenden von Informationen verbunden.
Die adaptive Lernbegleitung und der vielfältige Austausch in der heterogenen Klassengemeinschaft wurden von den individuellen Schülerinnen und Schülern effektiv für den eigenen Lernprozess genutzt. Hier muss kritisch von mir betrachtet werden, dass der hohe Aufwand den ich für das Aufbereiten und Beschaffen von unterschiedlichen individuellen Unterlagen und Arbeitsmaterialien hatte, in einem höheren Pensum der Arbeitstätigkeit nicht realistisch umsetzbar wäre. Dennoch motivierten mich die begeisterungsfähigen und aufgeweckten Schüler*innen der kulturell durchmischten Klasse zu einem erhöhtem Engagement in der Unterrichtsvorbereitung und machten es mir sehr leicht, ein lebendig positives Arbeitsklima zu gewährleisten, welches durchgehend viel Raum für einen konstruktiven spannenden Austausch und eine bereichernde Zusammenarbeit in der Klassengemeinschaft bewirkte.
Durch den prozessorientierten Ansatz in der Unterrichtsausrichtung konnten sich die Schüler*innen davon lösen ein zu erfüllendes konkretes Ergebnis für eine guten Benotung in ihrem Arbeiten anzustreben. Vielmehr konnten sie die Freiräume in den Projektaufgaben und der Unterrichtsgestaltung als Chance erkennen und nutzen, um das eigene Potenzial in den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erweitern und sich einzubringen. Sie konnten dabei spürbar den eigenen Lernprozess als wertvoll und lebendig erleben.
Das zunehmend gegenseitige Vertrauen zwischen den Schüler*innen und mir hatte sich über das Semester intensiviert und schaffte so die Grundlage für einen unbefangenen Dialog.
Der Unterricht blieb nicht nur für die Schüler*innen, sondern auch für mich immer wieder überraschend impulsreich. So verabschiedete ich mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge und überreichte ihnen dabei als Zeichen meiner Wertschätzung abschliessend ein individuelles zweckentfremdetes Buch mit den ihren ausgedruckten Arbeiten.