Abstract
Als Höhere Fachschule (HF) bietet die Schule für Gestaltung vier Bildungsgänge in den Fachrichtungen Kommunikations- und Produktdesign berufsbegleitend oder Vollzeit an. Einer davon ist der HF in Textildesign, ein zweijähriger Vollzeitstudiengang, an dem ich mein Praktikum, mit dem Fokus Oberflächengestaltung und Entwurfsmethoden Mittels zeichnen und sticken, absolvierte.
Sach- und Begründungsanalyse
Mit den sieben Studierenden aus dem 1. und 2. Jahr behandelte ich während zwei Tagen die Themen: Oberflächengestaltung und Struktur mittels Stickerei, sowie verschiedene Entwurfsmethoden zum Thema Muster, Figur und Objekt.
Ausgangslage: Die Studierenden aus dem ersten Jahr werden nach meinem Praktikum, also nach den Osterferien, mit einem Modul zum Thema „Floral» starten, in welchem die Studierenden sich zu diesem Oberthema ihr eigenes Projekt formulieren, das sie dann entweder im Gewebe oder im Druck umsetzen werden. Die Studierenden aus dem zweiten Jahr werden nach den Ferien mit der Diplomarbeit beginnen und ein individuelles Diplomthema formulieren, das nebst Gewebe oder Druck auch Oberflächenbearbeitung beinhalten kann. Die Leiterin des Studienganges legte mir deshalb nahe in meinem Vorhaben die Themen der Oberflächengestaltung und der Entwurfsmethoden zu behandeln, mit der Möglichkeit diese in einem experimentellen Feld einzubetten.
Das Sticken bietet sich zur Oberflächen- und Strukturgestaltung auf Textilen sowie anderen Trägern sehr gut an. Da das Sticken aber ein langsames Handwerk ist, bei dem viel Zeit investiert werden muss, um eine Arbeit zu beenden, habe ich mir die Idee eines Werkzeugkastens an Methoden überlegt, welche sich die Studierenden während meines Unterrichts anlegen. Es ging mir darum, ihnen einen Einblick in das Handwerk der Stickerei (vier Stickstiche) und deren vielseitige Möglichkeiten aufzuzeigen, sowie Entwurfstechniken zu beleuchten, welche die Studierenden für ihren kommenden Projekten anwenden können. Unter dem Werkzeugkasten verstehe ich demnach einen Pool an Wissen, von dem sich die Studierenden während ihres Studiums immer wieder bedienen können. Es ging mir weniger darum, mit den Studierenden fertige Produkte herzustellen, was zeitlich nicht möglich gewesen wäre, vielmehr wollte ich Impulse geben, welche sie anschliessend in ihre eigene Sprache übersetzen können. Ich habe den Arbeitstitel “Auch Hände können denken, sowie Rückseiten und alles dazwischen entzücken können” gewählt, weil wir in diesen zwei Tagen praktisch nichts vorgezeichnet haben, wir den Fokus auf das intuitive Arbeiten legten und dem Unscheinbaren sowie dem vermeintlich unwichtigen (Zwischenräume und Rückseiten) Aufmerksamkeit schenkten.
Lernziele
Die Studierenden erstellen einen Werkzeugkasten für Entwurfsmethoden und Oberflächengestaltung mit Hilfe von zeichnerischen und stickerischen Mitteln.
Kompetenzen:
- Formensprache: experimentieren mit den Grundelementen der Stickerei (Punkt, Linie, Fläche) in unterschiedlichen Darstellungsarten
- Beobachten: differenzieren der Beobachtungsfähigkeit und entwickeln ihre Vorstellungskraft weiter, variieren, beurteilen und entwickeln Entwürfe weiter
- unterscheiden beim Beobachten Wesentliches von Unwesentlichem (Abstraktionsvermögen)
- Kontextverständnis: Verbindung herstellen vom eigenen Gestalten zur Textilkunst der Gegenwart
- Reflexion von Techniken und Werkverfahren: Den Zusammenhang von gewähltem Medium und Wirkung einer Arbeit begründen
- Entwurfsmethoden: erproben selbstständig alternative Lösungen während des Prozesses / Assoziation und Zufall in gestalterische Arbeiten einfliessen lassen
- Kommunikation/Reflexion: Eine gewählte gestalterische Lösung und/oder einen gestalterischen Prozess in einer adäquaten Form und Sprache reflektieren und präsentieren
- Auseinandersetzung mit dem Medium Faden und dessen Möglichkeiten erkennen
Herangehensweise:
Lernziele – Im Vordergrund stand das Erkunden und Experimentieren mit dem Sticken und dem Zeichnen und die Freude am Entdecken. Durch experimentelle Herangehensweisen wie zum Beispiel dem intuitiven Sticken auf Papier oder der Klecksmethode, verfolgte ich das Ziel kreative Arbeitsweisen und Techniken aufzuzeigen bei denen bekannte Bilder, welche im Hirn “abgespeichert” sind, nicht reproduziert werden. Dadurch wollte ich bei den Studierenden das Vertrauen in ihre kreativen Fähigkeiten stärken und Wege aufzeigen, wie sie diese danach anwenden und vertiefen können. Die Studierenden sollten Phasen des selbsttätigen Arbeitens erleben und von mir in ihrer Wahrnehmung und Selbstkompetenz individuell gefördert werden. Regelmässig ging ich bei den Studierenden vorbei, um mich mit ihnen auszutauschen und ihren Prozess zu besprechen. In der individuellen Betreuung zeigte sich viel Potential, vor allem bei der Figurenfindung während der Klecksmethode, bei der ich in der Betrachtungsphase unterstützend sein konnte, sowie im Moment des “Rausschälens” einer eigenen Figur oder Form.
Entscheid für Lehr-Lern-Arrangements
Folgende Lehr-Lern-Arrangements waren während meines Unterrichts tragend
- Vielfältig-bunte Lehr-Lernarrangements durch stetige Abwechslung von Input- und Übungsphasen sowie mit Einbezug des Aussenraums als Arbeitsorts
- Handlungsspielräume lassen um selbstständigen Wissenserschließung zu ermöglichen
- sozialen Interaktionen – sowohl zwischen Lernenden und Lehrenden als auch zwischen den Lernenden untereinander
- Wissen, fachliche Kompetenzen und Lernkompetenzen unterstützen
- Anregendes Setting durch ansprechende Arbeitsmaterialien und Anschauungsmaterial zu künstlerischen Positionen im Bereich der Stickerei
- vielfältige Zugänge zum Thema
- abwechslungsreiche methodische Verfahren
- unterschiedliche Arbeitsformen
- Arbeitsklima in welchem die Lernenden sich angenommen und respektiert fühlen
Ablauf Methodischer Aufbau, Inputs, Übungen, Ergebnisse
Dadurch dass das Praktikum auf zwei Tage beschränkt war, musste ich diese einschränkende Rahmenbedingungen nutzen, um einen Sinnvollen Umfang der Inputs- und Übungsphasen zu planen. Ich entschied mich für eine ziemlich straffe Taktung der beiden.
Tag 1
- Händisches Denken: Als Einstieg wähle ich einen kurzen Text des Soziologen und Philosophen Hartmut Rosa. Mit diesem Text zum Thema Schnee verfolgte ich das Ziel den Studierenden die Thematik des Tastsinns (HÄNDISCHES DENKEN) näher zu bringen und auch der Gedanke des in Resonanz treten mit einer Sache oder einem Ding.
2. Erste Stickübung: Sticken auf Papier mit Nadel und Faden, ohne Ziel, ohne Vorzeichnen
3. Stickhandwerk erlernen: Stiche vermitteln, die im Rahmen der zwei Tage essentiell sind. (Vor-, Rück-, Platt-, und Festonstich) Wichtigste Kniffs und Tricks werden gezeigt: Umgang mit Material, Übertragungsmöglichkeiten, Verarbeitung am Schluss etc.
Bild 1: Stickprobe einer Studentin, Bild 2: eines meiner Beispiele, eines fertigen Produkts, das ich im Unterricht gezeigt habe.
4. Beobachten und erproben: Fokus auf das “nebensächliche”. Zwischenräume zeichnen und Linien Sticken. Mit der Technik des Zeichnens und Stickens, Formen und Linien beobachten und finden. Verschiebung des Arbeitsortes in den Aussenraum.
5. Übersetzen: Gezeichnete Zwischenräume in Stickerei übersetzten in Anwendung der gelernten Stiche. Fokuse: Anhäufung, Struktur und Fläche
6. Input: Anhäufung, Struktur und Fläche. Künstlerische Positionen werden betrachtet: Swati Kalsi, Gabriela Martínez Ortiz, Lindzeanne, Christine Mauersberger.
7. Anhäufung und Linien: Was können einzelne Linien bewirken? Wie wirkt ein Anhäufen von Fäden auf die Oberflächenstruktur aus? Beobachten und verschiedene Formen ausprobieren.
8. Perspektivenwechsel: Die Rückseite und die Zwischenräume der Stickerei verdienen Aufmerksamkeit – eine zeichnerische Übung in 4 Etappen.
Beispiele von Rückseiten von Stickereien. Bild 1: Mexikanische Stickerei, Bild 2: Stickerei von mir
Die Entstanden Stickereien dienen als Vorlage und werden zeichnerisch übersetzt. Umkehrung der üblichen Vorgehensweise von Vorzeichnen und dann Sticken, zu Sticken und dann Abzeichnen:
- Struktur des Fadens wiedergeben der Vorderseite
- Zwischenräume wiedergeben der Vorderseite
- Struktur des Fadens der Rückseite wiedergeben
- Zwischenräume der Rückseite wiedergeben
Tag 2
1. Klecksmethode: Ich hatte diese Methode in einem Illustrationskurs vermittelt bekommen und lieben gelernt. Es ist eine einfache, aber effiziente Methode, um aus mit Aquarellfarbe und Pinsel erzeugten Klecksen oder Linien, Figuren oder Strukturen zu erzeugen, um diese in einem weiteren Schritt mit Fineliner oder Bleistift zu extrahieren.
2. Volumen und mögliche Anwendungen: Technik der Punchneedle erlernen und das 3 dimensionale Arbeiten erproben.
3. Reflexion und Ausstellung im Flur: In der Reflexionsphase am Dienstagnachmittag war es mir wichtig, dass die Studierenden eine Auslegeordnung ihrer Arbeiten erstellen, um diese in ihrem vollen Umfang betrachten zu können. In 2er und einer 3er Gruppe sollten sie ihre Arbeiten mit ihrem Gegenüber besprechen, mit dem Ziel Reflexionsprozesse anzustossen und dem Fokus auf die Fragen: Was war interessant? Wieso? Welche Technik oder auch mehrere waren hilfreich und möchten weiter verfolgt werden? Wo gäbe es allgemein Anknüpfungspunkte, welche weiterentwickelt und präzisiert werden könnten für weitere Projekte? In einem zweiten Schritt besprachen wir die Arbeiten im Plenum mit denselben Fokussen.
Reflexion
Der Schwerpunkt des Praktikums lag auf der Auseinandersetzung mit der Stickerei und dem Zeichnen als Entwurfsmethoden. Die intuitive Herangehensweise und die fragmentarischen Erzeugnisse zu Beginn halfen den Studierenden, in das Thema einzusteigen. Der kurze Text über den Schnee von Rosa, transportierte auf eine philosophische Weise meine Gedanken zum Thema des Handelns mit den Händen und des Bearbeiten unseres Umfelds. Die Stimmung, die während dem Vorlesen einsetzte, wurde von jener in der Arbeitsphase im Anschluss gespiegelt.
Die beiden Tage vergingen wie im Flug. Es fühlte sich wie ein komplettes zweitägiges eintauchen in die Thematik an, um danach wieder aufzutauchen mit einem Kopf voller Ideen. Da sich die Anstrengungsbereitschaft bei den Studierenden sehr ausgeprägt zeigte, war auch die Arbeitsstimmung genial. Was für mich als Lehrperson natürlich eine erleichterte Voraussetzung darstellte. Mit jeder Stunde füllte sich der grosse Arbeitstisch mit Entwürfen und verwandelte sich in ein grosses Kreativlabor. Ich schätzte den Austausch mit der Praxislehrperson im Vorfeld sehr, damit ich mein Vorhaben gut auf die Bedürfnisse der Studierenden anpassen konnte. Was mir meiner Meinung nach gelungen ist. Auch die kurzen Rückmeldungen jeweils nach Unterrichtsschluss schätzte ich sehr und konnte die Inputs sogleich in die nächsten Stunden integrieren.
Obwohl ich im Vorfeld die Studierenden darüber informierte, dass sie keine fertigen Arbeiten in dieser kurzen Zeit erstellen würden, äusserten sie die Kritik, dass die Zeit zu knapp war und sie sich einen zusätzlichen Tag gewünscht hätten um ein Produkt fertig zu stellen oder in eine Technik noch tiefer einzutauchen. Bei der Klecksmethode brachten sie die Kritik an, dass ein Oberthema für die Figurenfindung hilfreich gewesen wäre. Wie zum Beispiel für diejenigen im 1. Jahr das Thema Floral oder organische Formen. Zudem konnten nur wenige Studierende ihre mitgebrachten Stoffe für Interventionsversuche benutzen, da die Zeit nicht ausreichte. Das «Livesticken», wie es eine Studierende nannte, was das Loslösen von Erwartungen bewirkte wurde allgemein als hilfreiche Methode empfunden. Das Arbeiten mit der Punchneedle erforderte von allen etwas Geduld, da diese Technik von vielen materiellen Komponenten abhängig ist. Es durften aber alle ein Erfolgserlebnis feiern. Mein Mentor Simon Kindle machte mich noch auf die Verwendung eines Visualizers, vor allem für die Phase des Stickens. Es hätte ermöglicht, dass alle Studierenden über dieselben selben Sicht Möglichkeiten verfügt hätten, was vor allem essentiell wäre im Falle einer grösseren Gruppe.
Zu Beginn war ich unsicher, ob der Wechsel zwischen Input und Übungsphase nicht zu schnell getaktet ist und ich die Studierenden zu überfordern drohte. Die Studierenden vernichteten auf meine Nachfrage hin meine Zweifel. Sie empfanden diese Wechsel als angenehm und nicht zu schnell. In Zukunft würde ich demnach die straffe Taktung beibehalten, um eine vielfältige Auseinandersetzung mit dieser mehrschichtigen Materie zu ermöglichen. Darum war ich erstaunt über den Umfang der entstandenen Arbeiten und auch stolz darüber, dass ich den Studierenden vielfältige Anstösse mit auf ihren Weg geben konnte. Dementsprechend fiel das positive Feedback der Studierenden aus. Ich erachte mein letztes Praktikum als gelungen. Es war für beide Seiten sehr lehr- sowie impulsreich und ich darf behaupten, dass ich die Räume der SfG am Dienstagnachmittag inspirierter und leichter verlassen habe, als zu dem Zeitpunkt, als ich sie am Montagmorgen betreten habe.
Danach: Da ich mit diesem Inhalt dieses Praktikum das Ziel verfolgte, den Studierenden Impulse zur Weiterarbeit mitzugeben, werde ich die Klasse für einen Nachmittag im Mai besuchen, um mir einen Überblick darüber zu verschaffen, ob und auf welche Weise sie ihr erworbenes Wissen in ihre Praxis einfliessen lassen.