Was macht ein Körper aus? Was hat das für einen inhaltlichen Einfluss, wenn Körper mit Fremdmaterial vereint wird? In diesem Praktikum untersuchten die Schüler:innen diese Fragen und modellierten die hierzu selbst erarbeiteten Konzepte und Schwerpunkte mithilfe Ton zu dreidimensionale Arbeiten. Dieses Praktikum fand an der Kantonsschule Zürcher Oberland mit einer sechsten Klasse während acht Doppellektionen statt.
Sachanalyse
Wer bin ich, was macht mich aus?
Die Darstellung des menschlichen Körpers hat in der Kunstgeschichte einen zentralen Stellenwert und hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Eine Entwicklung in diesem Bereich ist die Verwendung von Objekten und Alltagsgegenständen, um erweiterte oder abstrakte Körperfiguren zu schaffen und damit gesellschaftliche Phänomene zu kommentieren. Von Guiseppe Arcimboldo zu Andra Ursuţa gibt es zahlreiche Kunstschaffende, welche auf unterschiedliche Arten hierzu Werke erschafft haben.
Woody De Othello beispielsweise schafft anthropomorphe Skulpturen aus Keramik. So vermenschlicht er Pfannen, Nachttischlampen, indem er sich auf ihren Nutzen bezieht. De Othello ist auch stark von seiner haitianischen Abstammung beeinflusst, indem er die Vodou-Religion, Nkisi-Figuren und andere animistische Traditionen und Artefakte aufgreift und darauf Bezug nimmt. Diese Skulpturen sind zwar skurril, haben aber auch einen politischen Hintergrund. Seine Arbeiten, die sich auf Klimaanlagen beziehen, reflektieren nicht nur den Körper des Künstlers, der «Luft holt», sondern verweisen auch auf die Körper von Afrikanern, die in die Karibik gebracht und zur Arbeit gezwungen wurden, sowie auf die anhaltende Polizeibrutalität gegenüber schwarzen Männern in Amerika. Klara Kristalova hingegen kreiert Fabelwesen, die sowohl tierische als auch menschliche Elemente haben. Durch die Verwendung von Fabelwesen zeigt Kristalova die Dualität des menschlichen Geistes und der Natur. Robert Gober macht hyperrealistische Skulpturen, wie Spülbecken die einen männlichem Torso gleichen, oder Beine mit Kerzen, welche sich auf die AIDS-Krise der 1980er Jahren beziehen. Andra Ursuţas verführerische und beunruhigende Skulpturen – oft aus Abgüssen ihres eigenen Körpers gefertigt – sind radikale Hybridwesen. Ursuţas Arbeiten erinnern sowohl an amerikanische Science-Fiction-Action-Horrorfilme wie Predator und die Alien-Reihe als auch an visionäre Kunstwerke von Frauen früherer Generationen, darunter die polnischen und estnischen Bildhauerinnen Alina Szapocznikow und Anu Põder, und betonen die Verletzlichkeit der menschlichen Gestalt und die Komplexität des Begehrens. In ihren Skulpturen verschmelzt sie direkte Abgüsse ihres Körpers mit Alltagsgegenständen, geborgenem Müll und Requisiten, wobei sie den traditionellen Wachsausschmelzguss mit 3D-Scanning und Druck kombiniert. Diese Körperfiguren betonen die Beziehung zwischen Konsumgesellschaft und dem menschlichen Körper.
Referenzen:
Andra Ursuţa, Void Fill, 2020
Robert Gober, untitled, 1990-2007
Woody de Othello, Maybe Tomorrow, 2020
Jonathan Baldock, Facecrime subject, 2020
Klara Kristalova, Camouflage, 2017
Guiseppe Arcimboldo, Vertumnus, 1590
Bedingungsanalyse
Schule: Die Kantonsschule Zürcher Oberland ist sehr gross, mit ca. 2000 Schüler:innen, 200 Lehrpersonen, 12 BG-Lehrer:innen. Nach einem zweijährigem Provisorium sind sie vor kurzem in neue BG-Zimmer gezogen. Sie sind sehr gut ausgestattet und es hat grossartige Werkstätten.
Klasse: Dies ist das letzte Projekt dieser (Sprachmatur-)Klasse kurz vor der Matura. Es ist eine kleine Klasse, mit nur 9 Schüler:innen. Sie sind eine haben in diesem Semester bereits ein freies Projekt nach einem Thema gemacht und eine Stop-Motion-Animation mit Kohle. Sie sind engagiert, im Arbeiten wie auch in der mündlichen Beteiligung.
Dieses Projekt ist das letzte dieser Klasse. Es bietet sich daher an, mit dem Thema Selbstporträt den Schüler:innen eine Möglichkeit zu geben, sich selbst, ihre Interessen, und ihren Bezug zur Gesellschaft um sie herum zu reflektieren. Indem sie Objekte und Dinge verwenden, die ihre Interessen widerspiegeln, können sie Skulpturen erschaffen, die eine Verbindung zwischen ihrem Körper und ihrer Persönlichkeit herstellen. Es ist eine Möglichkeit, sich auszudrücken und gleichzeitig eine Verbindung zur Welt um sie herum herzustellen.
Ich möchte in diesem Praktikum genügend Zeit geben, sich mit dem Material Ton und seine Eigenheiten auseinanderzusetzen. Es soll eine spielerische Auseinandersetzung mit einem skulpturalen Prozess sein. So können sie mit Grössenverhältnissen spielen, Kontrasten zwischen organischen Körperformen und starren Formen von Objekten ausmerzen, verschiedene Techniken üben um bei der Oberflächengestaltung verschiede Texturen wiederzugeben. Sie können dabei selbst aussuchen, ob sie sehr naturalistisch arbeiten, oder ob es eher abstrakte oder illustrative Formen sein sollen. Am Schluss soll eine Skulptur entstehen, welche aus verschiedenen Teilen besteht – eine Verschmelzung von einem Körper(-teil) mit Objekten/ Elementen, die im Rahmen ihres eigen erarbeiten Konzepts stimmig sind. Andra Ursuţas Hybride Skulpturen Void Fill (2020) dienen hierbei als Inspiration. Insgesamt bietet die Verwendung von Objekten und Alltagsgegenständen, um abstrakte Körperfiguren zu erschaffen, eine Möglichkeit, den menschlichen Körper auf eine neue Art und Weise darzustellen.
Lernziele und Beurteilungskriterien
Lernziele
Die Schüler:innen:
- können die Wirkung plastischer Materialien erproben und für eine differenzierte räumliche Darstellung einsetzen.
- kennen die Anwendungsmöglichkeit und Wirkung von Werkzeugen und können diese sachgerecht einsetzen (z.B. Modellier-, Schnittwerkzeug).
- können das Thema Selbstportrait in der Kunstgeschichte einordnen.
- kennen die Zeitgenössische Künstler:innen, welche von Objekten in Körperdarstellungen nutzen.
- können eine Skulptur erarbeiten, die eine Verbindung aus menschlichen Körperteilen und Fremdelementen enthält
- erarbeiten ihre Skulptur alleine, lernen und üben den Umgang mit Werkzeugen und Techniken in der Skulpturherstellung.
- tauschen sich in Kleingruppen aus und nutzen dabei die relevanten Fachbegriffe.
Beurteilungskriterien:
Konzeptbeschrieb Thema: Die Arbeit stellt einen Bezug zu einer aktuellen/persönlichen Thematik dar. Das Konzept ist verständlich, es ist deutlich was an Aussenstehende vermittelt werden soll. (6 pt)
Darstellung des Inhalts: Der Inhalt ist verständlich beim Betrachten der Arbeit. Die Umsetzung ist fantasievoll und überraschend. (6 pt)
Form: Die Proportionen/ Grössenverhältnisse sind stimmig, die verschiedenen Elemente haben eine klar erkennbare Form und stimmig in der Gesamtform. (6 pt)
Wirkungsvoller Einsatz von Techniken: detaillierte Oberflächengestaltung/ Materialität, intentionale Ausarbeitung der Kanten/ Übergänge, Die strukturellen Begebenheiten des Dargestellten werden in der Erarbeitung sinnvoll aufgegriffen und ergänzt. Der Einsatz der Techniken verhilft der Arbeit zu Stimmigkeit und Charakter. (6pt)
Zwei ausgewählte Kriterien (6 pt pro Kriterium, SuS können selbst aussuchen):
- Dynamik: Spannung zwischen einzelnen Elementen, Bewegung der gesamten Figur
- Kombination verschiedener Gegenstände/Körper: Verschmelzung (weiche Übergänge)
- Verschachtelung (kantige Übergänge)
- Detailorientierung/ Präzision/ Konsequent durchgearbeitete Flächen und Kanten
- Eigene Kriterien
Insgesamt 32 pt
Ablauf
In der ersten Doppellektion führte ich in das Thema „abstrakte Porträt“ ein mit kurzen Plenumsrunde zur Begriffklärung. Was ist ein Körper? Was bedeutet Abstraktion? Was stellen wir uns darunter vor? Es wurde Beispiele von Kunstschaffenden angeschaut. Danach gab es einen Postenlauf zum Thema Körper, mit verschiedenen Techniken, wie der Körper wurde vereinfacht/abstahiert/ mit Gegenständen kombiniert/ in Bewegung etc. gezeichnet werden kann. In der zweiten Doppellektion wurde zunächst kurz mit Material und Objekten Köper und Figuren dreidimensional entwickelt, um danach ein Konzept zu schreiben. Das Konzept diente in den späteren Lektionen als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Arbeit. Die SuS beschrieben, was sie mit ihrer Arbeit vermitteln möchten. Die Arbeit sollte einen Bezug zu einer aktuellen/persönlichen Thematik darstellt, z.B: Gentechnik, Genderfragen, Schönheitsidealen, Robotik (Mensch-Maschine Thema), Massenkonsum usw. Sie machten erste Skizzen. Von der dritten bis zur siebten Doppellektion wurde mit Ton die Arbeit modelliert. Als Inputs wurden (nebst dem Vormachen von Arbeitstechniken) Arbeiten von verschiedene Kunstschaffende besprochen, es gab mit einem kurzem Video zu Guiseppe Archimboldo, dessen kunstgeschichtlichen Einfluss diskutiert wurde. Da es eine kleine Klasse war, hatte ich die Möglichkeit, viele individuelle Gespräche über Inhalt und Technik mit den Schüler:innen zu führen. In der letzten Doppellektion wurde im Plenum die Arbeiten besprochen, die SuS beurteilten sich selbst, das Praktikum wurde besprochen und bewertet, und es wurden individuelle Notenbesprechungen durchgeführt.
Reflexion
Das Praktikum insgesamt betrachte ich als gelungen, obwohl es sich anders entwickelt hat, als ich geplant habe. Ich habe viel gelernt, es sind tolle Arbeiten entstanden und die Zusammenarbeit mit der Klasse war super. Bei der Planung habe ich unterschätzt, wie viel Zeit der Aufbau und das Aufräumen in Anspruch nehmen. Daher musste ich leider aus Zeitgründen ein paar Inputs und Gruppenarbeiten & -besprechungen streichen, welche sicher einen hilfreichen Beitrag für die SuS zur Reflexion der eigenen Arbeit beigetragen hätten. Bei einem Wiederholen des Projekts würde ich schon ab der zweiten Doppellektion zum Arbeiten mit Ton wechseln, damit mehr Zeit am Schluss für den Austausch und Detailarbeit bleibt. Es war eine super Stimmung im Raum und es machte Spass, dieses Praktikum zu unterrichten.
Beispiele von fertigen Arbeiten