«Ziel der Kunst ist es, eine Stimmung zu erzeugen»
Oscar Wilde
Abstract – Das letzte halbe Jahr war wegen Corona eine gefühlsmässige Achterbahnfahrt, welche die Jugendlichen hautnah miterlebt haben. Darin sah ich grosses Potential, ihre Empfindungen mit in das Projekt einzubeziehen. Während sechs Wochen erstellten die Lernenden eine Plastik, die die Wahrnehmung und Aufarbeitung der aktuellen Situation zum Ausdruck bringen soll.
Inhalt – Wir haben uns mit einer bisher unbekannten Situation zu arrangieren, die uns alle in individuellen Aspekten aufwühlt. Für das Praktikum sah ich deshalb vor, dass die Lernenden mittels einem künstlerischen Projekt das letzte halbe Jahr reflektieren und sich damit auseinandersetzen konnten.
Beim Erstellen einer Plastik sollten sie sich persönlich eingeben, indem sie ihre Gefühle darin zu visualisieren versuchten, wodurch sie stark in ihre Arbeit involviert waren. Während diesem Prozess legte ich auch Gewicht auf die Werkbetrachtung und Rezeptionsästhetik, da Kunst erst dann entsteht, wenn sie auch betrachtet wird. Die SuS sollten dadurch lernen, ihre Gestaltungsabsicht zu begründen und merken, dass Werke ganz unterschiedlich verstanden werden können. Sie entwickelten und betrachteten die Plastiken dabei unter formalen, inhaltlichen und emotionalen Kriterien. Nach Absprache mit dem Praktikumslehrer orientierte ich mich somit am Lehrplan mit dem Lerninhalt der Montage- und Verfremdungsexperimente (entferntes Objektstudium) und dem Ziel eines prozessorientierten Gestaltens im 3D-Bereich. Für die Plastik bildeten die SuS ein Gerüst aus Draht und Alufolie, welches sie dann mit einem Polymerton überzogen. Das Material wählte ich deshalb, weil es lange formbar bleibt (trocknet nicht), einfach zu bearbeiten ist, keine lange Materialeinführung braucht und sich logistisch gut aufbewahren lässt. Dadurch bot das Projekt eigene Entwicklungsmöglichkeiten, da die SuS stets Änderungen an ihrer Plastik vornehmen und sich so individuell darin vertieften konnten.
- Bildnerische Grundelemente im 3D-Bereich kennen (Umgang mit verschiedenen Techniken und Materialien, wie modellieren mit Polymerton und aufbauendem Formen mit Draht und Alufolie, Verfremdungstechnik)
- Persönliche Empfindungen in ein Kunstwerk einbringen (Gefühle mittels Form und Oberfläche transportieren, sich mittels einem Kunstwerk ausdrücken zu versuchen)
- eigenständige Bildideen zu einer individuell erlebten Situation entwickeln und bildnerische Prozesse realisieren (Bildsprache erweitern).
- Wahrnehmungsschulung und Fantasieentwicklung im abstrakten, surrealen Bereich
- Werkanalyse und Rezeptionsästhetik kennen (Kommunikation zwischen dem Betrachter und dem Werk)
- Offener Zugang auf Kunstwerke, Kunstbetrachtung
Ablauf – Das Praktikum ging 6 Wochen lang, wo ich zwei Parallelklassen nacheinander unterrichtet habe. Da die Klassen neu zusammengemischt waren, war mir keine Hospitation möglich, wodurch ich keine Infos bez. ihrer Arbeitsweise hatte. Zusätzlich war es eine eher kurze Zeit, um ein Projekt zu realisieren, weshalb ich beim Arbeitsprozess einige Rahmenbedingungen festlegen musste (z.B. Einschränkungen in Grösse etc). Dies führte dazu, dass ich zügig mit dem Hauptprojekt startete, aber dafür bei jeder DL einen kurzen, spielerischen Einstieg in die Lektion machte, um eine möglichst positive und produktive Arbeitsatmosphäre zu stimulieren. Die SuS erhielten dabei Inspirationsmaterial, wussten was das Ziel der Stunde war und konnten selbstständig arbeiten. Das Projekt war so aufgegleist, dass sie bestimmte Vorgaben hatten und gleiche Teilziele erfüllen sollten, aber durch das formbar bleibende Material die Möglichkeit hatten, ihre Plastik stets wieder zu verändern. Während dem Arbeiten habe ich die SuS individuell unterstützt und bei Einzelbesprechungen versucht sie zu animieren, Gestaltungsfragen auch mit ihren Mitschülern zu besprechen. Die Unterrichtsformen wie Frontalunterricht, Plenumsdiskussionen, Einzelarbeit und coronabedingt festgelegte Gruppenarbeiten, wechselten sich während den Lehrveranstaltungen ab.
Lernende dieser Stufe streben oft nach einem eher naturalistischen Abbilden, weshalb ich den Einstieg mit surrealistischen Plastiken eröffnete, um ihnen die Wirkung von Verfremdung, Kombinatorik, Symbolik und Metamorphose näher zu bringen. Bei der Betrachtung der Werke von Meret Oppenheim, Salvador Dali, Jessica Stoller, Patricia Piccinini (etc.) ist der gemeinsame Nenner die psychologische Wirkung, die das Werk im Betrachter provozieren sollte und der Tatsache, dass viele Objekte aus dem Alltag entstammen und so lange umgeformt wurden, bis sich ihre Bedeutung in etwas Fremdes verwandelt hat.
Nach dieser Einführung entwickelten die SuS eine Plastik, die mind. zwei Objekte miteinander vereint und einen beweglichen Teil beinhalten sollte. Das, weil durch eine eingebaute Bewegung der Aufbau genau durchdacht werden musste. Die Verfremdung der Objekte diente dazu, dass sie ihr persönliches Empfinden freier in die Plastik einbringen konnten und somit eine neue Herangehensweise lernten. Als Inspiration hatten sie die Aufgabe ein Moodboard zu gestalten, wo sie mittels Text und Bildern ihre Gedanken zur erlebten Coronazeit festhalten sollten. Da die Bilder intuitiv gewählt waren, konnte später auf deren Assoziation eingegangen werden, was für die Form und Oberflächenstruktur hilfreich war. Damit die Gestaltungsabsicht nicht willkürlich schien, hielten sie ihre Überlegungen auf einem Konzeptblatt fest, wodurch sie lernten, sich auszudrücken und der Plastik eine Aussage zu verleihen. Durch häufige Werkbesprechungen und -analysen, die in fast jeder Lektion stattfanden, versuchte ich das Sprechen über Arbeiten zu fördern, um Gefühle in die Werke transportieren zu können.
Die SuS bildeten übten sich an einem Objektstudium, indem sie Plastikfiguren nach Tastsinn (blind) nachformten und somit den Umgang mit dem Polymerton und dem Arbeiten in 3D kennenlernten. Daraufhin bildeten sie aus zwei Begriffen eine surreale Figur (Partnerarbeit).
links: Moodboard, Inspirationstext und Entwurf / rechts: Foto während Prozess (H.N.)
links: Übertragung 2D zu 3D / rechts: Grundgerüst aus Draht und Alufolie (S.D.)
Die SuS ordnen der Bilderausstellung von Plastiken verschiedene Empfindungen zu und begründen anschliessend ihre Wahl.
Künstlerbeispiele: Beth Cavener, Federico Clapsis, Antony Gormley,
Oberflächenbeschaffenheiten und deren mögliche emotionale Wirkung: Die SuS besprechen in Kleingruppen ein Moodboard und bestimmen daraufhin eine Empfindung, für welche sie geeignete Oberflächenstrukturen suchen (Abdrücke, Formung) und diese erläutern.
Künstlerinspiration: Angelika Arendt, Mitsy Sleurs
Assoziatives lesen vom Moodboard: Welche Empfindungen lösen die Bilder aus? Wie sind sie lesbar? Was ist in meiner Plastik erkennbar (Aktivität, Ruhe, etc.) und wie könnte ich diese Gefühle mit der Oberflächenstruktur verstärken?
Die SuS geben ihren Plastiken einen Titel und in Kleingruppen besprechen wir, was ihre jeweilige Gestaltungsabsicht war und was andere darin lesen können. Sie üben, sich auszudrücken und sich in ihr Kunstwerk einzubringen und lernen, dass jeder Betrachter subjektive Empfindungen beim Betrachten hat.
Beispiele aktueller Künstlerpositionen: Federico Clapsis, Sarah Lüdemann, Luke Jerram, Antony Gormley
Die SuS betrachten einmal Einzeln und einmal in Kleingruppen die Plastiken (der eigenen -und der Parallelklasse) und sprechen darüber oder beantworten schriftlich Fragen wie:
Was lesen Sie in den Plastiken (bspw. in einer von ihrer Parallelklasse)? Welche Empfindungen lösen welche Plastiken aus? Wo sieht man darin die Coronazeit? Wo sind Ähnlichkeiten ersichtlich? Welche spricht Sie an und weshalb?
Beurteilung – Für die Beurteilung gaben die SuS ihre Plastik, ihr Moodboard, das Konzeptblatt und die entstandene Fotoreihe oder das GIF ab. Somit erhielt ich Einblick in ihre persönliche Gestaltungsabsicht und konnte die Plastiken auf formale und inhaltliche Ebene bewerten. Die Beurteilungskriterien hatten wir bei der Aufgabenverteilung gemeinsam besprochen und bei der jeweiligen Einführung zum Thema habe ich nochmals auf die jeweils zutreffenden Kriterien hingewiesen. Da bei dem Projekt viel Persönliches mitgeschwungen hat, war mir eine möglichst transparente Benotung wichtig.
Reflexion – Die SuS haben bei diesem eher anspruchsvollen Projekt sehr gut mitgemacht und sich auch persönlich stark eingebracht, was mich positiv überraschte. Durch die Schutzmassnahmen war die Unterrichtsform teilweise eingeschränkt (zB. festgelegte Sitzplätze), was ich mittels Vorzeigen am Visualizer oder mit Besprechungen in festgelegten Kleingruppen anpassen konnte. Das Arbeiten in 3D war beiden Klassen bisher unbekannt, doch sie liessen sich gut darauf ein und betrachteten es als spannende Erfahrung, wobei sich die Modelliermasse als sehr geeignetes Einstiegsmaterial zeigte.
Für mich war es eine interessante Erfahrung, die beiden Parallelklassen nacheinander zu unterrichten, denn ich habe miterlebt, wie sich der jeweilige Klassengeist entwickelt hat und Unterschiede in der Konzentration, Motivation und dem Beteiligungsgrad feststellen können. Dadurch konnte ich üben, auf verschiedene Situationen angemessen zu reagieren und dementsprechend die Unterrichts- und Führungsstruktur anzupassen.
Mittels anderer Materialien könnte die Plastik ausgebaut und bspw. in die Umgebung eingebaut werden, wodurch sich ein spannendes Fotografieprojekt entwickeln könnte. Als Folgeprojekt wäre zudem denkbar mittels Stop-Motion zu den entstandenen Figuren eine Geschichte, bzw. einen Film zu kreieren, da sich das Material hervorragend dazu eignet. Die Plastiken könnten aber auch gebrannt werden, bemalt und weiterführend als Vorlage für ein klassisches Objektstudium dienen.
Einblick in die Endprodukte und die Zusätze (Moodboard etc.)
Moodboard, Werkanalyse und Konzeptblatt Moodboard, Konzeptblatt und Werkanalyse