Im Gegensatz zur freien Gestaltung richtet sich die (professionelle) grafische Gestaltung als angewandte Kunst nach den Vorgaben vom Auftraggeber und den Rahmenbedingungen des Produktes. Die Schülerinnen haben als Grundlage ein Produkt (oder eine Firma) definiert (zu dem/der sie eine Beziehung haben), diese charakterisiert und dafür einen Markennamen generiert. Die Hauptaufgabe bestand darin, der «Marke» Gestalt zu geben: eine Wort-/Bildmarke (Signet mit Name) zu entwickeln.
BEGRÜNDUNGS- UND SACHANALYSE
Die 10 Schülerinnen des 2. Gymijahrs in Langenthal hatten sich bereits intensiv mit Farben und Farbwirkungen auseinandergesetzt, wenig aber mit Abstraktion und noch weniger mit Typografie, Grafik oder Werbung. Während 8 Doppellektionen, sollten Schülerinnen nach dem Festlegen einer (Fantasie-) Marke (Produkt- oder Firmennamen) ein passendes Signet, welches die Marke repräsentiert (bildliche Abstraktion) mit einem selbst entwickelten Schriftzug (passende oder abgewandelte Schrift) zu einer einprägsamen Logo verbinden.
Ursprünglich war angedacht, dass ein Claim (der «en passant» entwickelt wurde) mit Logo und einem Blindtext auf einem fotografischen Hintergrund zu einem einfachen Flyer digital (Adobe Illustrator) verbunden werden.
Da die 6. bis 8. Doppellektion (Corona bedingt) zu Hause stattfand, kamen die Schülerinnen nicht über die Adobe Illustrator Einführung hinaus. In den letzten Doppellektionen entstand die Reinzeichnung «von Hand» zuhause und als Zusatzaufgabe befassten sie sich Werbung, vervollständigten ihre Dossiers und füllten ein umfangreiches Onlinefeedback aus.
ABLAUF
Die 5 ersten Doppellektionen liefen jeweils nach dem gleichen Schema ab: nach einer thematisch-theoretischen Kurzeinführung (mit Beamer-Unterstützung), einem kleinen Rückblick, evtl. Besprechung der Hausaufgaben, wurde 1-2 Kurzaufgaben gelöst und anschliessend eine Hauptaufgabe. Eine kurze Feedbackrunde fand am Schluss der Lektion statt. Um einen möglichst hohen Lerntransfer zu erreichen baute ich Rückkopplungsschleifen ein, nach einem von mir entwickelten Muster:
Das Programm war relativ dicht und umfasste folgende Themen, Inhalte:
1. Doppellektion:
Typografische Grundlagen, Sensibilisierung für das Schriftbild.
Übung mit dem eigenen Namen und entwickeln eines Monogramms. Die Schülerinnen mussten eigene Charakteristiken in ihre Arbeiten einfliessen lassen. Feedbackregeln wurden kommuniziert und Feedback-Geben geübt. Zur nächsten Doppellektion mussten 3 sehr unterschiedliche Logos mitgebracht werden (aus Verpackungen, Flyer, Inseraten).
2. Doppellektion:
Was macht ein gutes Logo aus?
Unterschied von Bild- und Wortmarke. Einfache Abstraktionsübung (Bilddiktat) und Logoanalyse. Als Hauptaufgabe standen verschiedene Tierbilder zur Verfügung (Papagei, Giraffe, Schildkröte, Delfin und Schnecke) – vom jedem Tier 4 (Fotografien) von verschiedenen Ansichten. Mit den soeben erarbeiteten Abstraktionsregeln wurde ein Tier nach Wahl schwarz/weiss abstrahiert. Hausaufgabe: Gedanken machen zu einem eigenen Produkt, einer eigenen Firma, als Grundlage für die zu entwickelnde Bildmarke.
3. Doppellektion:
Namensentwicklung
Naming (als Multibrainstorming in Gruppen). Festlegen der Produktqualitäten (USP) – Grobentwürfe einer entsprechenden Bildmarke (mind. 3 Ideen). Zufall, Not und Fehler. Ideenvorstellung und gemeinsame Auswertung.
4. Doppellektion:
Bildmarke, Detailgestaltung.
Bedeutung von Linie und Fläche, technische Aspekte (Druck). Piktogramme. Abstraktionsübung unter Einhaltung von besprochenen Gestaltungsregeln. Arbeit an der eigenen Bildmarke unter Einbezug der Erkenntnisse.
5. Doppellektion:
Wortmarke
Auseinandersetzung mit dem Schriftbild. Grenzen der typografischen Abstraktion: 1N73LL163N2 157 D13 F43H16K317, 51CH D3M W4ND3L 4N2UP4553N. Neurophyisiologische Aspekte unseres Gehirns: es «ergänzt» z.B. ohne weiteres auch «Whrschnlch st dsr Stz lsbr, bwhl mnch Bchstbn fhln. nsr Ghrn st drmssn flxbl, dss dsr Txt, dr hn Vkln gschrbn wrd, trtzdm ntzffrt wrdn knn». Dito bildlich: Gesetz der Geschlossenheit.
6. Doppellektion:
Verbindung von Bild- und Wortmarke
Die Schülerinnen arbeiten zuhause (Corona). Die Aufgabe wird per Mail kommuniziert. Material wird per Post zugestellt. Zusammenstellen des Arbeitsdossiers (Dossier fliesst zu 1/3 in die Bewertung). Erstellen eine Reinzeichnung des entworfenen Logos (auch 33% Wertung): Zeichnen des bildnerischen Elements, Setzen des Textes (Namen), Schrift und Bild wird übertragen verbunden, Entwurf wird auf Transparentpapier erstellt, fotografiert und mir per Mail zugestellt. Kommentare per Mail.
7. Doppellektion:
Reinzeichnung
Auch zu Hause. Nach meinem Feedback wird die Logo-Reinzeichnung erstellt und mir inkl. vollständiges Dossier zurückgesandt.
8. Doppellektion:
Werbung & Feedback
Anstatt des Flyers gibt es doch noch einen Imput zu Werbung (AIDA-Modell) und eine Analyseaufgabe basierend auf die Erkenntnisse daraus. Die Schülerinnen erhalten zudem einen Link zu einer von mir erstellten Google Form Umfrage.
BEURTEILUNG
Die Schülerinnen haben am Schluss eine Note erhalten, die sich – wie angekündigt – aus drei Teilnoten zusammensetzte: Dem Dossier (Vollständigkeit und Bewertungsschnitt einzelner, kleinerer Arbeiten), dem Durchschnitt vier grösserer Aufgaben (Monogramm, Tierabstraktion, Claim und Werbung) und schliesslich auch aus der Bewertung des Endergebnis (entwickelte Wort-/Bildmarke). Die aufgabenspezifischen Kriterien wurden im Aufgabenbeschrieb aufgeführt.
REFLEXION
Das Thema Grafik war von der Praxislehrperson gewünscht. Obschon die Schülerinnen sehr interessiert waren, sehr viel und intensiv gearbeitet haben, ist mir meine berufliche Praxis manchmal insofern in die Quere gekommen, dass ich viel zu sagen hatte, so auch viel Theorie eingebracht habe und der Designmaxime «Weniger ist Mehr» – die wohl auch für Unterricht gilt – nicht ganz gerecht wurde. Vieles erledigten die Schülerinnen (auch vor der Coronazeit) zuhause. Der Unterricht war für mich sehr wertvoll und ich habe diverse Aspekte (u. a. Erklären und Lerntransfer) in zwei Leistungsnachweisen der PH thematisiert.
Spannend war für mich auch ein sehr ausführliches Feedback der Schülerinnen zum Unterricht zu erhalten. Ich formulierte 23 Fragen zum Unterricht, die dank Google-Forms auch grafisch ausgegeben werden. Ich nutzte die Gelegenheit auch für eine (nicht repräsentative Umfrage) um verschiedenen Unterrichtsformen oder Aufgabenstellungen zu analysieren.
Raphaël Schmitt, April 2020