Während der Konferenz «Narrations oft the Beginnings of performance” war mein Blick die meiste Zeit über auf die vielen Bildschirme gerichtet, die sich zur linken und zur rechten der Tribüne befanden, auf der Vorträge über die Entstehung und Entwicklung der Performancekunst in verschiedenen Teilen Europas abgehalten wurden. Mein Auge zählte die Sicht auf 16 Bildschirme auf denen zeitgleich verschiedene Performances zu sehen waren. Fast ausschliesslich wurde der menschliche Körper, zumeist jener der KünstlerInnen selbst als Mittel genutzt, um eine Aktion zu verrichten und ein Bild zu erzeugen. Die vielen Bilder dieser Menschen, mit deren Gesichtern, deren Körpern, die sich in ihrer Nacktheit und kompletten Verhüllung in verschiedensten Formen präsentierten, vergegenwärtigten mir Fragen, bezüglich der (Ent)-Materialisierung künstlerischer Projekte, die ich mir seit Beginn meiner künstlerischen Auseinandersetzung als Zeichnerin immer wieder gestellt habe. Die Frage bezüglich des Materialverschleisses, den ich pflege, auf meiner Suche nach zeichnerischen Gefügen, die sich wiederrum auf das Elementarste und Notwendigste zu reduzieren versuchen, um ein Problem finden und festhalten zu können, stellt sich allen Gedanken voran. Eine Perfomance, die mich zu dieser Frage nachzugehen überwand, war jene der Schweizer Künstlerin Lena Eriksson.
Ihr Gesicht verdeckte eine grosse ornamenthafte Papierblume. An beiden Händen und an einem ihrer Füsse befand sich jeweils eine solche weitere. Auf einem Bein hüpfend, ihren Körper und die getragenen Blumenköpfe ausbalancierend schaffte sie mich an meine derzeitige zeichnerische Suche nach sich wiederholenden und aufeinander aufbauenden Formen zu erinnern, die versuchen, sich in ihrem Arrangement auszubalancieren.
Warum begehe ich meine Formensuche nicht mit meinem Körper selbst? Was bedeutet mir und für meine Zeichnungen die Materialisierung? Die Möglichkeit das eigene Tun und Üben vor mir liegen zu sehen, die aufgebaute Nähe zum verwendeten Zeichenmittel, welches ich bereits als Körpererweiterndes Instrument anerkannt habe und welches in seiner Wenigkeit, das Passendste für meine Arbeiten zu sein vermag, scheint sich jedoch auch noch weiter, z.B. hinsichtlich erkenntnistheoretischer Fragen, die sich mit der Bedeutung und Wahrhaftigkeit des Abbildes, des Materiellen und Immateriellen zugleich auseinandersetzen, aber auch hinsichtlich neuerer Debatten, wie jener der Nachhaltigkeit, erklären zu müssen. Die Frage nach der Materialisierung und deren Begründbarkeit führte mit einem Besuch der Performance des belgischen Künstlers Darren Roshier «How can this Performance (really) defeat capitalism?” zu weiteren Überlegungen, wie jener der möglichen Besitzbarkeit und Verkäuflichkeit meiner Papierarbeiten. Sogleich ich eingestehen muss, mir meine Zeichnungen gehangen und dies am liebsten in einem renommierten Kunsthaus, doch mindestens neben einem Corbusier Sessel gerne vorzustellen, scheue ich mich, mir damit gleichsam eingestehen zu müssen, mit meinem Tun eine radikale politische und zugleich auch unterwürfige Haltung einzunehmen. «0,4% for the workers, vs. 87 % for the BEL20.» mahnt ein die Performanz Roshiers zierendes Pappschild. Roshier hat mit diesem Schild an einer Demonstration in Brüssel teilgenommen, von welcher er während seiner Performance ein Video einspielte, bei dem er inmitten einer Menschenmasse singend zu sehen und zu hören war. Um die Bedeutsamkeit des Kontextes zu verdeutlichen, in welchem wir KünstlerInnen wirken, griff er in seiner Performance erneut zu dem erwähnten Demonstrationsschild und demonstrierte indes als Einziger vor dem Publikum, sprechend und singend im Museum Tinguely.
Ein Akt, der sich als Angriff auf die das Kunsthaus tragende und finanzierende Insitution Roche richtete. Die Schwierigkeit der Frage «How can this Performance really defeat capitalism» dramatisierte Roshier mit einem Brief an Severin Schwan (Chief Executive Officer Roche Gruppe), indem er ihm übermittelte, dass dieser und sein Königreich nun von Innen (im Gebäude des Tinguely Museums, in welchem die Kunst verschlungen ist), angegriffen werde. “I have bad news for you, Art won’t die of old age if it distances itself from capitalism who is old and will die really really soon”, waren seine abschliessenden Worte.[1]
Sind meine Arbeiten vollkommen unabhängig von äusseren Faktoren gestaltet? Und nochmal: Welche Rolle spielt die Materialität meiner Arbeit für mich und die Arbeit selbst? Falls die Materialisierung meiner Suche nicht zwangsläufig erforderlich ist, wieviele Gründe gibt es, darauf verzichten zu lernen? Muss ich Haltung beziehen, um mir nicht selbst ins Bein zu schneiden? Und wer sorgt sich um mich, wenn nicht der Kapitalismus ?
[1] Darren Roshier: Auszug aus Performance: How can this performance (really) defeat capitalism?, https://drive.google.com/file/d/1Q0VaI7Z-eKWoPSagY2y4T4ee4yhttQ6t/view?usp=sharing.
Weitere Performance, die mir hinsichtlich der Frage nach einer Formensuche mit dem eigenen Körper interessant schien: #PCB Mealti Suryodarma – Lutz, 2001, https://drive.google.com/file/d/1H7JW0BPbyRnh1YGiiUi3mT3mjLAYygC2/view?usp=sharing.